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McLaren 570GT

Handschuhfach

Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns hier wiederholen: McLaren macht einen ausgezeichneten Job. 1654 Fahrzeuge haben die Engländer im vergangenen Jahr verkauft, heuer werden es wohl doppelt so viele, denn die Auslieferungen der neuen Sports Series (540C, 570S) laufen auf Hochtouren (auch in China ist das Geschäft unterdessen ins Rollen gekommen). Die noch junge Marke, gegründet 2011, hat 2015 zum dritten Mal hintereinander schwarze Zahlen geschrieben; ein Drittel des letztjährigen Gewinns, also rund 120 Millionen Pfund, werden gleich wieder in die Entwicklung neuer Modelle und Varianten investiert. Der neue Business-Plan «Track 22» sieht bis 2022 eine Erweiterung und Erneuerung der Palette um 15 neue Versionen und Derivate vor, darunter auch ein E-Auto. Und den Ausbau der Kapazitäten auf maximal 5000 Fahrzeuge pro Jahr. Darunter wird kein einziges SUV sein, man sei und bleibe, sagt McLaren, ein Sportwagen-Hersteller.

McLaren 570GT - 12

Mit dem 570GT bringt McLaren aber jetzt zuerst einmal die «zivilste» Version seiner Sportwagen auf den Markt. Wobei, das ist selbstverständlich alles relativ: der 3,8-Liter-V8-BiTurbo knallt weiterhin 570 PS auf die Hinterachse. Und so schafft der Engländer den Sprint von 0 auf 100 km/h in 3,4 Sekunden (bis 200: 9,8 Sekunden) und eine Höchstgeschwindigkeit von 325 km/h, steht also seinem Bruder, dem 570S, kaum nach. Der Unterschied liegt: im Handschuhfach. Denn als erster McLaren verfügt der 570GT über ein ebensolches. Und drückt allein schon damit aus, dass er alltagstauglich(er) sein will, quasi das Modell für die Hausfrau.

McLaren 570GT - 5

Gut, es gibt da noch den einen oder anderen Unterschied. Die Bespoilerung fällt sanfter aus, hinten gibt es nur eine kleine Lippe. Das ist auch gut so, denn man schaut eh gerne nach hinten, denn dort hat es nicht wie in den anderen McLaren nichts, sondern ein schön eingeledertes Kofferräumchen, in dem man sicher ein Herrenhandtäschchen unterbringen könnte. Oder zwei Paar Golfersocken. Oder eine Stange Zigaretten. Üppig ist anders, 220 Liter gibt McLaren an, doch das erscheint eher optimistisch; dafür hat er ja ganz vorne noch ein tiefes Fach mit noch einmal 150 Litern Fassungsvermögen. Und besagtes Handschuhfach. Und diverse weitere Ablagen. Der Clou ist aber schon der über dem Mittelmotor angebrachte «Show Room»: die Heckscheibe öffnet – wie einst beim Jaguar E-Type – seitlich, je nach Markt hin zur jeweiligen Strassenseite. Das sieht in der Hotelvorfahrt schon ziemlich gut aus, auch wenn der Portier dann nicht besonders schwer zu tragen hat am zwangsläufig spärlichen Gepäck. Schön ist auch das Glas-Panoramadach, welches für ein gutes Raumgefühl sorgt; auch Sitzriesen müssen sich nicht beengt fühlen.

Schöne Farben gibt es ebenfalls. Und deutlich mehr auf Luxus ausgelegte Innenräume mit einer Vielfalt von Farb-, Leder- und Materialkombinationen, welche die Phantasie von Normalsterblichen übersteigt. Es ist dies zudem alles sehr sauber gemacht, perfekt verarbeitet, auch in Sachen Ergonomie hat McLaren für Engländer untypische Fortschritte gemacht. Und sogar das Navi funktioniert unterdessen tadelos, in Sachen Konnektivität ist McLaren natürlich auch «state of the art». Für den GT gibt es als Sonderausstattung auch eine besonders feine Bowers & Wilkins-Hi-End-Anlage, die so richtig fette «beats» produziert. Was auch ganz gut ist, denn so richtig begeisterend ist der Sound aus dem Maschinenraum nicht, auch mit den optionalen «sports exhausts» nicht. Turbo halt, das kennen wir ja; wird auch nicht besser, wenn es deren zwei sind.

1350 Kilo wiegt der «Gran Turismo», das sind ein paar Säcke Reis mehr als der 570S und ist einzig zum zusätzlichen Luxus geschuldet. Es ist dies aber immer noch ein ganz herausragender Wert, der in Preis und Leistung vergleichbare Porsche 911 Turbo packt sich da gleich drei Hunderter drauf (dafür hat er aber auch Allradantrieb). Und dieses geringe Gewicht ist es dann auch, das dem Piloten des 570GT ein ganz feines Stück Fahrfreude vermittelt. Wunderbar agil ist er, sehr wendig, leichtfüssig wirkt er. McLaren hat die Federraten beim GT ein paar Prozent weicher eingestellt, und das spürt man auch im Vergleich zum 570S. Genau so geht «Gran Turismo»: reichlich Leistung kombiniert mit ausgezeichnetem Komfort. Er ist aber auch beim flotten Treten des Fahrpedals alles andere als ein Warmduscher, da geht viel, da geht sogar sehr viel, da kommt eigentlich immer der Fahrer eher ans Limit als der Wagen. Hervorragende Bremsen, auch bei intensiver Beanspruchung, eine extrem präzise Lenkung – ja, der reine Heckantrieb ist und bleibt da einfach «benchmark».

Und er bringt die Kraft auch souverän auf den Boden. Selbstverständlich arbeitet dabei auch ganz viel Elektronik mit, doch die Einstellungen sind auf sehr hohem Niveau; das ESP kommt bei einigermassen vernünftiger Fahrweise nur ganz selten (und dann: ganz sanft) zum Einsatz. Bei den Fahrmodi kann man getrost auf die «Normal»-Stellung verzichten, «Sport» ist sicher die richtige Wahl, dann sind auch leichte Driftwinkel möglich. Das ESP lässt sich in zwei Stufen ausschalten, einmal so im Sinne von 7/8, der elektronische Fallschirm kommt dann irgendwann doch noch, wenn es zu grob wird, oder dann ganz. Aber das sei jenen überlassen, die gut versichert sind.

Es hat uns ja schon der McLaren 570S sehr gut gefallen; der 570GT gefällt uns eigentlich noch besser. Zwar meinen die Engländer, dass ihr jüngstes Produkt nicht für die Rennstrecke ausgelegt ist, doch wir sehen beim besten Willen keinen Grund, dieses Gerät nicht auch auf den Track zu bringen: mit seiner Gutmütigkeit überfordert es weit weniger schnell als manch ein «scharfer» Porsche oder Ferrari. Und am schnellsten ist man ja dann, wenn man sich selber sicher fühlt. Andererseits: die wahre Domäne des 570GT sind sicher Land- und Bergstrassen. Da kann man sich seine eigene Achterbahn kreieren, «fast’n’smooth» liebt er am meisten, und das ist dann auch: schnell. Das 7-Gang-Doppelkupplungsgtriebe gehört zu den besten auf dem Markt, spielt immer sauber mit, auch wenn es vor der Kurve einmal drei Fahrstufen weniger sein sollen; absolut perfekt die Anschlüsse gegen oben. Was selbstverständlich auch an den satten 600 Nm Drehmoment liegt, die der Achtzylinder abdrückt.

Es ist wirklich bewundernswert, was McLaren in seiner noch kurzen Geschichte schon alles auf die Strasse gebracht hat. Der 570GT passt sich da nahtlos ein, hat auf jeden Fall seine Berechtigung, ist zwar unfassbar schnell, aber trotzdem – mit den bei Sportwagen üblichen Abstrichen – absolut alltagstauglich. Dass das alles auch seinen Preis hat, ist da verständlich, die knapp 200’000 Euro sind in etwa so viel, wie die Konkurrenz auch verlangt. Wem das zu wenig ist, kann diesem mit männiglich Sonderausstattung problemlos noch nach oben treiben. Und die früheren Befürchtungen, dass die Gebrauchtwagen-Preis unter dem Niveau der Produkte aus Stuttgart und Maranello liegen könnten, scheinen sich auch nicht zu bewahrheiten.

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Mehr McLaren haben wir in unserem Archiv.

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  1. […] ist gewaltig. Nun ist ja schon der 570-PS-Gran-Turismo nichts für Nasenbohrer (Fahrbericht siehe: hier), doch beim 675LT sollte man nicht einmal daran denken, den Finger zu heben. Wenn da alle Systeme […]

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