Der feine Unterschied
Wahrscheinlich müssen wir uns einfach daran gewöhnen. Dass alles anders werden wird in Zukunft. Das Automobil, wie wir es bisher kannten und liebten (siehe den grandiosen Bericht von Fabian Mechtel zur Mille Miglia und zum Mercedes 300 SL, siehe überhaupt «radical»), wird uns verlassen, bald schon, es wird nicht mehr der Motorenlärm unser Herz erwärmen, wir werden nicht mehr über Fahrspass und Fahrwerke berichten können, PS-Zahlen, maximale Drehmomente und Beschleunigungsvermögen werden in den Hintergrund treten. Die individuelle Mobilität frisst sich gerade selbst, schweisstreibende Arbeit am Lenkrad gehört wie Zwischengas und das feine Zusammenspiel zwischen Augen, Händen und Füssen der Vergangenheit an; Angasen zum reinen Selbstzweck, zur reinen Freude am Fahren und der kurvigen Bergstrasse ist vorbei. Das Automobil der Zukunft wird ein Mittel zum Zweck sein, immer näher an der Perfektion, eine Design-Skulptur, ein Ausdruck des wahren Luxus, mehr «schöner Wohnen» als Transportmittel, mehr Image als Fortbewegung. (Und dabei ist das leidige Thema autonomes Fahren noch nicht einmal inbegriffen.)
Wir rollen im Volvo S90 mit 120 km/h über eine spanische Autobahn. Der Abrollkomfort ist grossartig, es herrscht eine wunderbare Ruhe im Fahrzeug, vor unseren Augen erstreckt sich eine bis ins kleinste Detail schönst ausgearbeitete Designer-Landschaft, die mit einem Auto-Cockpit so viel zu tun wie eine Holz-Festbank mit einem Eames-Möbel. Die Ergonomie hat einen wissenschaftlichen Hintergrund, das Leben findet allein noch digital statt, Materialien, Haptik, HiFi sind vom Edelsten. Es macht sogar den Eindruck, dass sich die Musik automatisch dem Fahr- und Lebensstil der Insassen anpasst, es ist alles floating, summertime – and living is easy. Oh nein, man mag sich nicht darüber beklagen, wahrscheinlich könnte man bis Norddeutschland weiterrollen ohne je zu ermüden, ohne sich einen Gedanken zu machen über Verkehr, den Weg, der das Ziel ist. Der Volvo ist einfach da, unaufdringlich und doch sehr präsent, er macht das Leben angenehm, leicht, man weiss um all diese Sicherheitsüberlegungen und noch mehr Assistenzsysteme, die Luft wird gefiltert, allein in der Sitzlehne steckt wohl mehr Gehirnschmalz und Ingenieurswissen als früher, in den von uns so gern hochgelobten Zeiten, in einem Zwölfzylinder. Die Maschine ist dem Menschen um Lichtjahre überlegen, das Limit liegt nicht in den Fähigkeiten des Piloten, sondern in der Rechnerkapazität.
Es ist dies keine Kritik am Volvo, gar nicht. Die Schweden machen das, was die Zukunft vom Automobil verlangt, und sie machen es hervorragend. Volvo hat sich in den vergangenen Jahren neu erfunden, nicht bloss den Markt studiert, sondern gleich auch noch einen philosophischen Überbau entwickelt, ganz neue Ansätze ge- und erfunden. Zwar mögen auch andere Hersteller davon plappern, zukünftig «Mobilitätsanbieter» sein zu wollen, doch Volvo hat diesen Schritt längst gemacht, denkt weiter, weit über die eigenen vier Räder hinaus. Zwar sind die neuen V90 und S90 auch nur Automobile, der S90 sogar eine sehr klassische, man könnte sagen: konservative Limousine, und doch zwingen uns diese Geräte dazu, unser Verhältnis zum Automobil zu überdenken. Sie erlauben es uns auch. Ganz besonders dann, wenn wir sicher, entspannt, in aller Ruhe über die Autobahn rollen.
Aber kommen wir doch noch zu den wesentlichen Dingen, also: Produkt, Produkt, Produkt. Die beiden neuen Volvo, die ab September bei den Händlern stehen werden, stehen auf der gleichen Plattform wie der schon bekannte XC90 (der sich verkauft wie warme Semmeln). Zwar reden wir da noch von oberer Mittelklasse, also A6 von Audi, 5er-Reihe von BMW, E-Klasse von Mercedes, doch mit 4,96 Meter (S90) bzw. 4,93 Meter (V90) Länge befinden wir uns in einem Bereich, der noch vor wenigen Jahren Oberklasse gewesen wäre. Das gilt auch für die 1,8 Tonnen, die zu bewegen sind. Das mag gewichtig erscheinen, ist aber aktuell ein anständiger Wert, wenn man berücksichtigt, was alles an Elektronik und Sicherheit und überhaupt in solch einen Wagen eingebaut wird; als T8, also Plug-in-Hybrid, der wohl Ende Jahr verfügbar sein wird, sind es dann aber schon deutlich mehr als 2,1 Tonnen.
Volvo-Chef-Designer Thomas Ingenlath gibt zu, dass es einfacher ist, ein grosses Auto zu zeichnen als ein kleines. Und doch wollen und können wir ihn nur loben, sowohl für den V90 wie auch für den S90; die beiden Volvo sind anders als alle anderen, und ihre Formen sind ein Genuss für das Auge, harmonisch, ruhig – und doch ein klares Statement. Vielleicht, vielleicht, vielleicht könnte es der S90 sogar schaffen, dem Segment der grossen Limousinen wieder etwas Schwung zu verleihen, er ist eine Überlegung wert in seiner schlichten Schönheit. Und mit 500 Liter Kofferraumvolumen packt er ja auch schon eine ganze Menge weg. Beiden Wagen gemein ist, dass sie ein mehr als nur anständiges Raumgefühl bieten können, auch hinten sitzt man vorzüglich in Sachen Kopf- und Beinfreiheit. Noch schöner ist es im V90, der über ein Glas-Panoramadach verfügt, das sich über fast die gesamte Dachlänge zieht.
Innen, es wurde schon so ein bisschen beschrieben, ist die Gestaltung natürlich auch auf höchstem Niveau. Man kennt das aus dem XC90, der riesige Touchscreen, Head-up-Display, eine Art virtuelles Cockpit direkt vor den Augen. Dass die Schweden Interieur-Design können wie kaum jemand anders ist ja nun schon länger bekannt, aber hier haben sie sich selber übertroffen, auch in Sachen Bedienkomfort; es ist dies rein subjektiv, aber uns taugt dieser direkte Zugriff auf den Screen besser als das Gefummel über Drehschalter und Wendehälse. Unsere Testwagen war innen beide mit viel (echtem) Holz und feinstem Leder ausgestattet, das ist auch in der Verarbeitung Premium, da machen die bekannten deutschen Hersteller den Schweden nichts vor.
Gefahren sind wir den V90 als D5, also mit dem starken Diesel (4 Zylinder, etwas anderes gibt es ja nicht mehr, 2 Liter Hubraum, 235 PS, 480 Nm maximales Drehmoment zwischen 1750 und 2250/min), den S90 als T6, also mit dem vorerst stärksten Benziner (4 Zylinder, etwas anderes gibt es ja nicht mehr, 2 Liter Hubraum, 320 PS, 400 Nm maximales Drehmoment zwischen 2200 und 5400/min), Wir empfanden den Diesel mit seiner 8-Gang-Automatik als die souveränere Motorisierung als den Benziner, der zwar ebenfalls mit dieser 8-Gang-Automatik antrat, aber deutlich nervöser nach der richtigen Stufe sucht. Der Selbstzünder ist im kalten Zustand etwas brummig, aber das ist besser als das Nähmaschinengeräusch, das der Benziner hervorbringt; 320 PS und ein eher kümmerlicher Sound, daran sollte Volvo vielleicht noch etwas arbeiten. Und ein Ausbund an Munterkeit ist dieser T6 auch nicht, die 5,9 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h erscheinen etwas optimistisch. 7,2 Liter will der T6 verbrauchen, beim D5 sind es 4,8 Liter auf dem Papier. Noch besser will es der D4 mit seinen 190 PS können: 4,4 Liter. Und am besten kann es dann der Plug-in-Hybrid: 1,7 Liter.
In höchsten Tönen gelobt sein darf der Fahrkomfort, da sind die beiden Volvo wirklich auf Oberklasse-Niveau, absolut souverän. Wenn es dann aber um sportlichere Ambitionen geht, dann vermögen sie nicht mehr derart zu überzeugen. Zwar gibt es keinerlei Seitenneigung oder Wankbewegungen zu vermelden, aber die Schweden schieben bei flotterer Fahrt dann über die Vorderräder (Sicherheit…); eigentlich wollen sie das gar nicht, dass sie da geprügelt werden, da entspricht irgendwie nicht ihrem Charakter. «Relaxed confidence» nennt Volvo das, und damit wäre dann der Kreis zu unseren Gedanken eingangs dieser Betrachtungen wieder geschlossen, denn ein «aktives» Fahrvergnügen ist das nur noch sehr bedingt. Das Leben, wir wissen es spätestens seit Milan Kundera, ist sowieso anderswo. Und auch das soll wieder keine Kritik sein, es ist, wie es ist; wir müssen uns bloss noch daran gewöhnen. Wer mag, kann das übrigens im Volvo auch semi-autonom machen, Hände zwar am Lenkrad, aber das Gleiten übernimmt der Computer; keine Ahnung, wie das geht, für uns ist das Teufelszeug.
Geld, es muss nun natürlich auch noch über Geld geschrieben werden. Den S90 gibt es ab 50’300 Franken, für den V90 sind mindestens 53’600 Franken aufzuwenden. Gegen oben ist dann erst 96’500 Franken für den T8 mit Top-Ausstattung Schluss. Das ist viel Geld, aber auch nicht mehr als bei den bekannten Konkurrenten. Zu denen die beiden Volvo unbedingt und auch noch absolut eine mehr als nur valable Alternative sind.
Mehr Volvo gibt es in unserem Archiv. Und einen schönen V90-Werbefilm mit Zlatan Ibrahimovic haben wir auch noch, hier.
Keine Kritik (am Volvo) hervorragend neu erfunden, 1,8 und 2.1 Tonnen schwer, alles anständig, können nur loben, klares Statement, höchstes Niveau, selber übertroffen, Premium, souverän, eher das oder vielleicht noch das ändern, aber eher oder vielleicht auch nicht. in höchsten Tönen loben. Wunderbar.
Es freut uns, dass wir dann aber doch noch in der täglichen Übersicht sind.
[…] MagVolvo S90 & V90Ein erster Fahrbericht zu Volvo S90 & V90. Und ein paar Gedanken zur Zukunft des Automobils. […]