Hans im Glück
Und dann zieht Hans Herrmann eine Liste mit den Namen seiner toten Kollegen aus seinem privaten Fotoalbum. «Freunde!», sagt er, sichtlich bewegt, «das waren alles gute Freunde. Das war früher anders als heute, wir wohnten im gleichen Hotel, teilten uns das Zimmer, wir feierten zusammen. Und manchmal fuhren wir auch gemeinsam zu Beerdigungen». Die Liste von Hans Herrmann ist lang, sein erstes Rennen bestritt im Februar 1952 im Alter von 24 Jahren, seinen Helm an den Nagel hängte Herrmann am 14. Juni 1970, nachdem er zusammen mit Richard Attwood die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hatte.
Hans Herrmann, geboren am 23. Februar 1928 in Stuttgart, lernt nach dem Krieg Konditor und hätte das Kaffeehaus seiner Mutter übernehmen sollen. Stattdessen fährt er: Taxi. 1951 kauft er sich einen Porsche 356, nimmt 1952 erstmals an einem Rennen auf dem Nürburgring teil – und gewinnt seine Klasse. Was macht denn den Rennfahrer aus, Herr Herrmann? «Ich weiss es auch nicht, ich war ja eigentlich ein Spätberufener. Es ist sicher das Gefühl für das Auto – und das hat man nicht im Hintern, wie der Volksmund gern sagt. Aber man muss die Grenzen kennen, die eigenen und diejenigen des Fahrzeugs». Schon 1953 ist Herrmann im Porsche-Werksteam, gewinnt an der Mille Miglia seine Klasse. Überhaupt die Mille Miglia: 1954 kann er nicht mehr bremsen, als sich die Bahnschranken für den Schnellzug in Richtung Rom senken, er und sein Beifahrer Herbert Linge ducken sich – und der Porsche 550 Spyder kommt ganz knapp vor dem Zug auf die andere Seite. Herrmann gewinnt wieder seine Klasse und wird Sechster im Gesamtklassement.
Er redet gern, der Hans Herrmann, er redet viel, er kann sich mit seinen 89 Jahren noch an eine unfassbare Menge schöner Geschichten erinnern: «Ich hätte die Mille Miglia 1955 gewonnen, ich war schneller als Stirling Moss, wir hatten auch die bessere Taktik. Aber dann haben die Mechaniker in Rom den Tankverschluss unseres Mercedes 300 SLR nicht richtig zugeschraubt, wir standen mit den Füssen im Benzin, deshalb mussten wir dann aufgeben. Aber wir hätten den Moss, der dann Streckenrekord gefahren ist, gepackt auf dem Weg nach Brescia, wir hatten unser Auto geschont, damit wir auf dem letzten Teilstück angreifen hätten können» Er erzählt, wie er damals Fangio, sein grosses Vorbild – «was für ein grossartiger Mensch und Fahrer!» – überholt hatte, wie er ihn abhängte, obwohl er doch die Bremsen schonen wollte, weil sie die Schwachstelle des Mercedes waren – und wie er sich heute noch ärgert, dass den Mechanikern das Missgeschick geschah.
Die Karriere des Hans Herrmann verlief zu Beginn rasend schnell. Schon 1954 gehörte er der Formel-1-Mannschaft von Mercedes an, als Nachwuchsfahrer hinter Juan Manuel Fangio und Karl Kling. Richtig erfolgreich war er nicht, eine schnellste Rennrunde in Frankreich, ein dritter Rang beim Grossen Preis der Schweiz. Weil der Daimler ihm aber kein Fahrzeug für Sportwagen-Rennen zur Verfügung stellen konnte, fuhr er weiterhin auch für Porsche: «Man muss sich das vorstellen, das ging halt damals noch, am Samstag fuhr ich für Porsche, am Sonntag für Mercedes». (Das geht übrigens auch heute wieder, Herrmann ist Markenbotschafter sowohl bei Porsche wie bei Mercedes; es brauchte dafür einen Entscheid beider Vorstände – und darauf ist er als Schwabe mächtig stolz.) Mit Porsche schafft er einen grossartigen dritten Rang bei der Carrera Panamericana, obwohl er eines der schwächsten Fahrzeuge im Feld bewegte. Doch dann verunfallt Herrmann beim Training zum Grossen Preis von Monaco, Mercedes zieht sich aus der Formel 1 zurück, die Karriere des Konditors erhält einen Knick.
Er fährt fast bei Ferrari, er fährt zum Glück nicht bei Ferrari, denn in jenen Jahren starben sehr viele Ferrari-Piloten; er fährt dann mit mässigem Erfolg Maserati, Cooper, B.R.M.. 1959 hat er diesen schrecklichen Unfall auf der Berliner Avus, er rast mit seinem B.R.M. in einen nassen Strohballen, wird aus dem Auto katapultiert – und rutscht auf seinem Hintern über die Strasse. Das Bild des verdutzten Gesichts von Herrmann geht um die ganze Welt, seither trägt er den Übernamen «Hans im Glück». Er kommt wieder bei Porsche unter, doch das Formel-1-Abenteuer der Stuttgarter steht unter keinem glücklichen Stern, Herrmann fährt dann mit Abarth Bergrennen – und erlebt ab 1966 seinen zweiten Frühling als Porsche-Pilot im Werksteam bei Langstreckenrennen. Er gewinnt die 24 Stunden von Daytona, und er gewinnt 1969 fast in Le Mans, vielleicht 100 Meter fehlen ihm zum Sieg im zwar schnellen, aber auch filigranen Porsche 908 gegen den zuverlässigen Ford GT40 von Jacky Ickx.
«Das war grossartiger Rennsport. Drei Stunden lang haben wir uns bekämpft, einmal war ich vorne, weil mein Auto auf der Mulsanne schneller war, dann wieder er, weil er besser durch die engen Kurven kam. Irgendwann hatte ich dann Bremsprobleme, es leuchteten sämtliche Lämpchen, und Ickx konnte mich vor der Ford-Schikane ausbremsen. Ich war aber nicht traurig, dass ich nicht gewinnen konnte, es war für mich auch als Fahrer ein wahnsinniges Rennen gewesen». Es gab damals Gerüchte, dass Herrmann die von John Wyer betreuten Ford habe gewinnen lassen: «Ach, Quatsch, das war ein dummes Missverständnis, weil mein Schwager John Willment ist, der mit John Wyer zusammen arbeitete – warum hätte ich das tun sollen? Für einen Rennfahrer ist ein Sieg in Le Mans die Krönung, das lässt man sich nicht entgehen». Dann schaut er wieder auf seine Liste: «Damals, 1969, starb John Woolfe in Le Mans, in einem Porsche 917. Er war nicht angeschnallt gewesen. Die meisten Porsche-Werkspiloten hatten sich damals geweigert, mit dem 917 zu fahren, das Auto war gefährlich, das Fahrverhalten völlig unberechenbar, man fuhr in Le Mans Schlangenlinien».
«Der Piëch war schon ein Wahnsinniger, er ging immer über die Grenzen. Leichtbau, Leichtbau, sagte er immer – und oft funktionierte das dann halt nicht. Aber wenn es dann funktionierte, dann waren die Autos unschlagbar. Der Piëch war ein Getriebener, für uns Rennfahrer war es nicht immer einfach mit ihm». Doch es schwingt auch eine Menge Respekt in seiner Stimme mit: «Ja, da gab es damals schon grossartige Typen, von Fangio hab ich schon erzählt, er war der Grösste, Stirling Moss, mit mir zusammen der letzte Überlebende, auch Surtees, Ickx, die Gebrüder Rodriguez, Siffert». Die 60er Jahre, sagt Herrmann, waren die schlimmsten, 25 Freunde habe er verloren: «Ich habe überlebt, ich war und bin der Hans im Glück».
1970 waren die Porsche 917, diese geniale Konstruktion von Porsche-Rennleiter Ferdinand Piëch, dann soweit, dass sie um den Sieg mitfahren konnten. Herrmann trat allerdings nicht für das Werksteam an, sondern zusammen mit Richard Attwood in einem Fahrzeug, das Louise Piëch über ihre Salzburger Porsche Holding angemeldet hatte; man ging davon aus, dass diese Paarung wenig Chancen hatte. Doch nachdem Ferrari beim vielleicht eigenartigsten Crash aller Zeiten auf einmal vier Autos verloren hatte und sich die schnelleren Werks-917 der Reihe nach selber eliminierten, fuhren Herrmann/Attwood bei katastrophalen Wetterbedingungen einen lockeren Sieg nach Hause – den ersten von Porsche bei den 24 Stunden von Le Mans, 18 weitere sollten noch folgen. Herrmann war nach nach Hermann Lang und Fritz Riess (1952, auf Mercedes W194) erst der dritte Deutsche, der in der Sarthe gewinnen konnte. In jenem Jahr drehte Steve McQueen auch seinen Film «Le Mans», ein mit drei Kameras bestückter Porsche 908 nahm am Rennen teil.
Auf der Pressekonferenz nach dem Rennen erklärte Sieger Hans Herrmann den Rücktritt vom Rennsport: «Ich hatte es schon zu Beginn der Saison gewusst, dass es meine letzte sein würde. Aber ich habe das niemandem erzählt. Der Sieg in Le Mans war dann aber der perfekte Moment, auch, weil meine Frau glaubte, ich hätte des ihretwegen gemacht». Herrmann schmunzelt, er hat auch mit 89 Jahren noch ein spitzbübisches Lächeln: «Ich bin Schwabe, und ein Schwabe denkt immer an seinen Vorteil». In den Monaten nach seinem Rücktritt starben Bruce McLaren, Piers Courage und Jochen Rindt auf der Rennstrecke.
Hans Herrmann ist alle grossen Rennen seiner Zeit gefahren, Mille Miglia, Targa Florio, Carrera Panamericana – was macht denn nun die Faszination von Le Mans aus? «Die Unberechenbarkeit», sagt er sofort, «man weiss halt nicht, was alles passieren kann. Und es passiert immer etwas. Bei keinem anderen Rennen sind die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Profis und den Amateuren so gross, gerade in der Nacht und bei Regen weiss man ja nicht so recht, wie schnell das Auto vor dir unterwegs ist; ich hab dann immer gewartet, bis ich in den Kurven sehen konnte, wer vor mir fährt». Herrmann seufzt: «Es war schon auch Wahnsinn, wie schnell wir unterwegs waren, weit über 350 km/h auf den Geraden – und die Bremsen waren ja noch bei weitem nicht so gut wie heute, wir wussten oft nicht so genau, ob sie auch das ganze Rennen durchhalten werden. Überhaupt waren die Autos viel weniger zuverlässig, es konnte immer etwas wegbrechen, kaputt gehen». Er schaut wieder auf seine Liste: «Das waren ja nur ganz selten Fahrfehler, da war ja meist etwas mit dem Auto, wenn es wieder einen Unfall gab».
Aber Le Mans ist doch fahrerisch gar nicht so anspruchsvoll, Spa etwa ist doch mehr ein Kurs für den Fahrer, der Nürburgring sowieso? «Aber es ist halt die ganze Geschichte von Le Mans, die da immer auch mitfährt, all die Tragödien, all die grossartigen Siege – für uns Fahrer ist Le Mans schon ganz etwas Besonderes». Schaut er sich die Rennen noch an: «Ja, sicher – die Tragödie von Toyota im vergangenen Jahr, das war doch wieder so ein Le-Mans-Moment, das macht dieses Rennen so einmalig».
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