Ehre, wem Ehre gebührt
Es muss einfach sein. Es ist nicht so, dass es die Corvette niemals gegeben hätte, hätte es nicht vorher den Kaiser-Darrin gegeben, aber an diesen doch ziemlich eigenartigen Gefährt lässt sich so einiges erklären. Die zeitlichen und sozialen Hintergründe etwa, die dann auch zum Bau der Corvette geführt haben. Ausserdem mögen wir ihn irgendwie, den Kaiser-Darrin. Er ist aussergewöhnlich und selten und auch so ein bisschen eine Lachnummer.
Aber alles von vorne: Der 2. Weltkrieg war vorbei, und die amerikanische Autoindustrie hatte ihn recht gut überstanden, auch deshalb, weil sie stark in die Produktion von Kriegsmaterial eingebunden war – Panzer, Flugzeuge, solches Zeugs. Schon 1948 lief die Produktion bei den meisten Herstellern wieder auf einem anständigen Niveau. Und weil die Wirtschaft auch wieder anzog, gab es auch wieder eine kaufkräftige Kundschaft. Also bauten die US-Hersteller wieder das, was die immer gebaut hatten: grosse, fette Limos, vielleicht noch ein paar Coupés, doch die waren auch adipös, um es freundlich auszudrücken.
Doch es gab in den USA einen neuen Typus von Kunden. All die Soldaten, die viele Jahre im Krieg verbracht hatten und nun nach Hause strömten, lebenshungrig, finanziell nicht schlecht gestellt. Viele von ihnen hatten in Europa gedient, dort auch gesehen, dass Autos kleiner und wendiger und sportlicher sein konnten als die Riesendinger, die es in den USA gab: kleine Alfa, Fiat, die englischen Roadster, coole Sportwagen, die perfekt zum Lebensgefühl dieser jungen, noch unverheirateten Männer passten. Aber eben, so etwas gab es in den Vereinigten Staaten nicht. Der 1948 vorgestellte Jaguar XK120 wurde sofort zum Erfolg in den USA. Auch der Porsche 356 fand viele Kunden ennet dem grossen Teich. MG, Triumph – all diese kleinen Dinger verkauften sich bestens. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Amerikaner selber merkten, was sie sich da entgehen liessen. Erstaunlicherweise war es aber nicht einer der grossen Konzerne, sondern ein Mann namens Howard «Dutch» Darrin, der diesen Trend als erster erkannte.
Dieser «Dutch» Darrin gehört zu den schillerndsten Figuren der amerikanischen Automobilgeschichte. Geboren 1897, war er ein sehr begabter Sportler, der durchaus auch Football-Profi hätte werden können. Er war auch ein ausgezeichneter Pilot und 1919 Gründer einer der ersten Passagierfluglinien, der Aero Limited; ein Playboy (obwohl er schon jung geheiratet hatte), Polospieler, Antiquitätensammler, ein guter Geschäftsmann, ein noch besserer Ingenieur – und ein begabter Designer. 1926 gründete er zusammen mit seinem Freund Thomas L. Hibbard die Karosserieschneiderei Hibbard & Darrin – nicht in den USA, wie man vermuten könnte, sondern in Paris. Es dauerte nicht lange, da hatten die «boys» Erfolg, kleideten fast alle nach Frankreich gelieferten Rolls-Royce ein, legten Hand an Maybach, Hispano-Suiza, Mercedes-Benz. Ihre Kreationen waren immer sehr elegant, absolut perfekt ausgeführt (die Holzarbeiten werden auch heute noch bewundert), und sie hatten sogar einen gewissen Einfluss auf die gesamte Designerbranche. So waren sie etwa die ersten, die den Holzspeichenrädern mit einer schön geformten Alu-Scheibe zu grosser Eleganz verhalfen. Wobei, es muss klar gesagt sein: Hibbard machte meist an der Côte d’Azur Ferien, Darrin schmiss den Laden. 1929 wagten die beiden Amerikaner den Schritt zurück in die USA und eröffneten ihre Niederlassung genau eine Woche vor dem berühmten «schwarzen Freitag» von 1929 (der gar kein Freitag war, sondern eine Folge von Kursverlusten zwischen Mittwoch und dem darauf folgenden Montag; am Freitag jener Oktoberwoche stiegen die Kurse sogar leicht an). Sie gingen bankrott. Knapp drei Jahre hatten Hibbard & Darrin Erfolge feiern können.
1932 meldete sich «Dutch» Darrin zurück. Er hatte einen reichen und auch noch begabten argentinischen Partner gefunden, J. Fernandez. Wieder versuchte er sein Glück in Paris, wieder war die Kundschaft begeistert, und die Klientel war edel. So verlangte es etwa Greta Garbo 1933 nach einem Duesenberg mit Fernandez & Darrin-Aufbau. Die Partner bauten bis 1937 so ziemlich alles um, was damals Rang und Namen hatte, doch dann zog es Darrin zurück in die Heimat, genauer – nach Hollywood. Er nannte seine Firma «Darrin of Paris» und machte sich schnell einen Namen, auch deshalb, weil er viele Freunde in der Filmindustrie hatte. Seine berühmteste Konstruktion jener Jahre war der Packard-Darrin, den unter anderem Clark Gable, Erroll Flynn und Tyrone Power bestellten. Doch dann kam schon bald der Krieg, und Howard Darrin stand wieder einmal mit leeren Händen da. Oder vielleicht auch: dort.
Aber kaum war der 2. Weltkrieg vorbei, meldete sich «Dutch» Darrin zurück. Er hatte 1946 gleich ein paar neue Firmen gegründet, darunter eine Flugschule – und die Darrin Motor Car Company. Und er hatte ausgefeilte Pläne für ein Fahrzeug mit einer Karosserie komplett aus Fiberglas. Der Wagen wurde nie gebaut, doch viele der Designmerkmale fanden sich in den Produktionsmodellen von Kaiser und Frazer in den Jahren 1947 bis 1950. Darrin erhielt dann auch auf den Auftrag für das Design des Henry J, jenem Fahrzeug, das Henry J. Kaiser ab 1950 als amerikanischen Volkswagen auf den Markt zu bringen gedachte. Viel konnte er aber nicht mehr machen, weil die Dimensionen vorgegeben waren; der Henry J war eines der grössten Fiaskos der amerikanischen Autoindustrie. Dass er anfangs ausschliesslich im Warenhaus Sears angeboten wurde, half ihm sicher auch nicht. Aber der Henry J, erhältlich mit Vier- und Sechszylinder-Motoren, war auch die Basis für den nächsten Entwurf von «Dutch» Darrin, einen zweiplätzigen Sportwagen, den er 1952 entwarf. Als Henry J. Kaiser den Wagen sah, war er alles andere als beeindruckt und beschuldigte Darrin sogar, Firmengelder für den Bau von Sportwagen zu verschwenden. Doch neben ihm stand seine frisch angetraute Gattin Alyce, und die meinte (wir wissen nicht genau, ob sie dabei mehr auf «Dutch» schaute oder auf das Fahrzeug): «Das ist das schönste Ding, das ich je gesehen habe, und ich wüsste nicht, warum wir nicht auch Sportwagen bauen könnten.»
Damit war das auch entschieden – der Kaiser-Darrin wurde gebaut. Und zwar auf dem Chassis des unglückseligen Henry J, mit einem 90 PS starken Sechszylinder aus eben dieser Krücke. Der Fiberglas-Aufbau bestand aus fünf Teilen und wog nur gerade 140 Kilo. Das gesamte Fahrzeug war nur knapp 1000 Kilo schwer, und der Preis von 3668 Dollar für die damalige Zeit exorbitant. Die ersten 62 Stück wurden 1953/54 bei Darrin in Kalifornien gebaut, die restlichen 435 im Jahr 1954 dann bei Kaiser. Ungefähr 50 Stück waren am Ende des Jahres noch nicht verkauft, und wurden dann so schlecht gelagert, dass sie einen Wasserschaden hatten und unverkäuflich waren. Das war dann auch gleich das Ende des Kaiser-Darrin.
Ach, was war er ein ungewöhnliches Automobil. «Dutch» hatte sicher schon schönere Fahrzeuge gezeichnet. Trotz des geringen Gewichts des Autos hielt sich der Fahrspass mit den nur 90 Eseln unter der Haube in sehr engen Grenzen. Auch das Fahrwerk war nicht über jeden Zweifel erhaben. Eher: über keinen. Aber die Konstruktion war schon spannend, der Kaiser-Darrin darf als erstes Kunststoffauto gelten. Und er hatte diese aussergewöhnliche Türen-Konstruktion: Die Dinger öffneten sich nicht zur Seite oder nach oben, sondern verschwanden nach vorne in den Kotflügel. Aber der Kaiser-Darrin hatte halt noch ein anderes Problem ausser den mangelnden Fahrleistungen: Henry J. Kaiser hatte sein Unternehmen an die Wand gefahren. Schon 1953 ging eigentlich gar nichts mehr. Kaiser kaufte dann zwar noch den ebenfalls notleidenden Hersteller Willys-Overland (ja, das sind die mit dem Jeep), doch 1955 war dann Schluss mit lustig. Howard Darrin versuchte zu retten, was noch zu retten war, kaufte die 50 beschädigten Exemplare, verpasste einigen einen 270 PS starken Cadillac-V8, doch trotz Anpassungen am Fahrwerk waren diese Dinger ziemlich unfahrbar.
«Dutch» nahm es danach etwas ruhiger. Er behauptete, entscheidend an der Idee und dem Design des wegweisenden Jeep Wagoneer mitgewirkt zu haben, doch dafür finden sich in der Literatur keine Beweise. Er baute in den 60er-Jahren auch noch einige Rolls-Royce Silver Shadow um, doch seine grosse Zeit war vorbei. Howard «Dutch» Darrin verstarb 1992 im hohen Alter von 95 Jahren im südlichen Kalifornien. Die Kaiser-Darrin haben zwar für die Automobil-Geschichte eine gewisse Bedeutung. Immerhin sind die ersten Kunststoffautos und auch die ersten amerikanischen Roadster (die Corvette kam einen Monat später auf den Markt). Sie sind auch noch ziemlich rar: Rund 300 Stück sollen noch existieren. Trotzdem erzielen sie kaum grossartige Preise. Und auch das ist irgendwie verständlich.
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