Die letzten Hemmungen
Es ist Krieg dort draussen, Wirtschafts-, Verteil, Verdrängungskrieg. Es herrscht die reine Brutalität, Rezession, Inflation. Der Planet steht am Wendepunkt, doch wir reden über Gaspreise und Kohlekraftwerke anstatt über Klimaextreme. Und wie immer geht es nur ums Geld. Ferrari ist an der Börse und muss seinen Shareholdern nicht nur eine feiste Dividende liefern, sondern auch die Aussicht auf Gewinnmaximierung und stetiges Wachstum. Dafür lässt man nun in Maranello auch noch die letzten Hemmungen fallen – und schenkt den Aktionären ein SUV. Die Italiener werden zwar nicht müde zu betonen, dass es die Kundschaft gewesen sei, die sich seit Jahren ein solches Trumm gewünscht habe, doch ich kenne keinen einzigen Ferrari-Fahrer (und ich kenne so einige), die solches in der Öffentlichkeit zugeben würden. Gut, ich kannte auch keinen einzigen Lamborghini-Besitzer, der sich einen Urus wünschte; mittlerweile haben fast alle auch solch ein Dings in der Garage. Gern in einer ganz unauffälligen Leuchtfarbe. Sogar McLaren denkt in seiner Not daran, die Hosen runterzulassen.
Wir müssen uns wohl daran gewöhnen. Bei Porsche haben wir uns auch daran gewöhnt, so ein Cayenne Turbo GT gilt unter Vielfahrern als das derzeit beste Gerät aus Zuffenhausen, ist auf der deutschen Autobahn die bessere Wahl als jeder 911er. Der Purosangue bringt auch alle Ingredienzien mit, um auf den Highways die Hölle in Bewegung zu setzen, V12 mit 725 PS, in 3,3 Sekunden von 0 auf 100, über 310 km/h Höchstgeschwindigkeit. Er ist mit über zwei Tonnen Leergewicht aber auch der schwerste Ferrari aller Zeiten. Und er verfügt als erster Ferrari überhaupt über eine Bergabfahrhilfe.
Doch es sei hier nicht das SUV per se in den Boden gestampft (wobei: doch), es geht uns zuerst einmal um die Geldgier und ihre mittelfristig wahrscheinlich unschönen Folgen. Klar, Ferrari trägt als Arbeitgeber auch Verantwortung gegenüber seiner Belegschaft, muss langfristig Arbeitsplätze sichern. Doch die Marge der Italiener ist derart exorbitant, dass man sich da auch ohne SUV in den nächsten Jahren keine Gedanken hätte machen müssen, ein Liter Milch ergibt in Maranello zwei Kilo Butter und auch noch zwei Liter Rahm. Das reizt Ferrari nun aber in einem Masse aus, dass es nicht ewig gut gehen kann. Immer mehr Autos (im vergangenen Jahr war es wieder ein neuer Rekord, 11’155 Stück) schmälern die Exklusivität. Und damit die Begehrlichkeiten. Wenn dann ab nächsten Jahr noch einmal 20 Prozent (so gross darf der Anteil des Purosangue sein) mehr sind, dann nähert man sich bald einmal 15’000 Exemplaren – das Doppelte davon, was Ex-Ferrari-Chef Montezemolo einst als Obergrenze definiert hatte. Ach ja, es werden noch mehr SUV-Modelle kommen aus der Emilia Romagna, wohl auch ein BMW-X6-hässliches Coupé.
Enzo Ferrari wollte immer ein Auto weniger bauen als nachgefragt wurde. Das gilt heute noch, Ferrari könnte auch gut 20’000 oder gar 30’000 Fahrzeuge pro Jahr verschachern. Die Frage stellt sich dann allerdings: an wen? Es kommt in diesem Segment ja nicht nur darauf an, dass man seine Autos verkauft, sondern auch – an wen. Wenn dann die Hardcore-Freaks und -Sammler sowie Schnellfahrer von pickligen IT-Millionären und fragwürdigen Jung-Erbinnen und unbedarften Möchtegern-Investoren abgelöst werden, dann hat die Marke irgendwann ein Image-Problem. Hat sie jetzt schon, meiner bescheidenen Meinung nach, Formel 1 ist ein Desaster, ein nur noch peinliches Drama – und das Modell-Programm derart unübersichtlich, aufgebauscht, dass ich mich schon seit Jahren nicht mehr auskenne, was denn nun neu ist und aktuell. Es ist mir, abgesehen vom 812 Competizione, auch völlig egal.
Der Purosangue ist nun auch so ein typisches Dings für neureiche Spätpubertierer und vernachlässigte Zweitfrauen und kulturferne Chinesen, die sich einen Deut um Herkunft und Geschichte und Markenwerte scheren. Es gibt genug Kofferraum für markfrische Bio-Petersilie, es werden gemäss Auskunft von Ferrari auch nützliche Dinge wie Fahrradträger als Accessoires kommen. Sicher auch eine Schwiegermutterbox aufs Dach; aber anscheinend keine Anhängerkupplung. Selbstverständlich ist jedem Besitzer und jeder Käuferin selber überlassen, wie sie oder er sein ab 390’000 Euro teures Spielzeug nutzen will, aber auch da wieder: Image. Solche Bilder, Kinderfahrrad auf dem Dach, werden Ferrari nicht helfen. Es geht da auch um die Ernsthaftigkeit eines Sportwagens.
Nun ist der Purosangue aber allen Beteuerungen der Italiener zum Trotz kein Sportwagen. Wir wären schon zufrieden, wenn er sich dann zum Gran Turismo qualifizieren kann. Aber über drei Meter Radstand und eine Höhe von fast 1,6 Metern werden da wohl kaum helfen, das Gewicht erst recht nicht. Klar, schnell ist er auf jeden Fall, doch das ist ein Tesla auch: geradeaus. Er wird auch Fahrspass bringen, daran zweifeln wir nicht, aber eben, wohl vor allem auf der Autobahn. Denn hardcore ist halt anders, ein Roma ist ja schon eher auf der öden Seite, ein aufgebockter Roma kann es dann wohl auch nicht besser. Gerade von Ferrari wünscht man sich doch immer die ganz feine Klinge, etwas Schönes, was man sich als Poster an die Wand hängen möchte, etwas Edles, das den Stolz der einst so feinen Marke verkörpern kann. Ein Zeichen. Und was bekommen wir stattdessen? Einen fetten Haufen.
Denn was mich wohl am meisten ärgert am Ferrari-SUV: das Design. Diese zwei Nüstern über den viel zu schmalen Tagfahrlichtern, was ganz genau soll das? Aber noch viel schlimmer: die Radkasten-Verkleidungen in Sicht-Karbon. Welche Teufel haben da das hauseigene Centro Stile wohl geritten? Solches Anbauzeugs mag an einem Dacia Duster ja irgendwie noch angehen, es riecht dann ein bisschen nach Abenteuer – aber bei einem Ferrari? Zumal bei einem Fahrzeug, das nicht einmal über einen «richtigen» 4×4 verfügt; der Antrieb auf die vorderen zwei Rädern ist nicht viel mehr als eine «Traktionshilfe».
Enzo ist schon lange tot. Technisch hat sich Ferrari durch alle Formen des Hybrid durchdekliniert, man hat wohl sämtliche Superlative schon mal gehabt. Bleibt noch: der Exzess. Plump und feist und teuer. Es geht nur ums Ego, jenes von Ferrari. Und jenes des Käufers, me, myself & I. Die Welt liegt in Scherben, aber das Statement eines Ferrari Purosangue lautet ganz deutlich: mir doch egal, ich kann’s mir leisten. Fehlt dann nur noch die Sonder-Edition für Krisengewinnler.
Sei’s drum. Ein paar schöne Ferrari haben wir ja noch in unserem Archiv.
Danke. Man kann über dieses Sakrileg gar nicht genug ablästern.
ein rendite-baukasten
mit design-beule, peinlich.
Eine Wohltat!
Endlich mal jemand, der die Dinge beim Namen nennt, statt im immer gleichlautendem Ehrerbieten das Ding hochzujubeln, um ja bei der nächsten Pressevorstellung auch eingeladen zu werden.
Der Artilkel spricht mir, als Ferrari-Fahrer von A-Z aus der Seele, während alle anderen Medien die Pressetexte von Ferrari ungefiltert wiederkäuen.
Kritischer Motorjournalismus ist leider äußerst selten geworden.
Vielen Dank dafür!!
M.S.
Top geschrieben! Informativ-kritisch-witzig
Ich finde das Auto sehr gut.
Zeigt es doch, daß es vorbei ist,
Vorbei mit einer Marke, die für überirdische Schönheit (250, 275, Daytona, 365 2+2, Dino, 308, 328, 456 et al.), für grandiose Motoren, für symphonische Motorklänge, für leicht verschwitzte Italianata, für Herrenfahrer mit braunen Rauhlederhandschuhen und Gucci-Loafern, für einen Herbstmorgen am Comer See, für eine nächtliche Spritztour vom Georges V rund um den Etoile zum Eiffelturm, für die Heldenfahrten auf der Nordschleife, in Monza und in Spa, für einen in Metall gegossenen Futurismo und die Renaissance auf Rädern stand.
Und heute?
Weit aufgerissene Mäuler, häßliches Carbon statt feinem Holz, absurd riesige Räder, brüllende Auspüffe, das Design intergallaktischer Kampfmaschinen und Insassen mit Basecap, Jeanshosen mit künstlichen Löchern und Gipsfußsneakern, Insassinnen mit Schlauchbootlippen, Markenlogos allüberall und antrainiert blasiertem Blick, da ist das SUV die perfekte Abrundung der Modellpalette und in Kitzbühel, St. Moritz und Lech werden die Dinger im kommenden Winter reihenweise herumfahren, endlich kann man den Status auch in den Skiferien demonstrieren und muß nicht mehr mit dem lambogelabelten Audi Q irgendwas vorfahren.
Und dabei geht es weder um Schönheit, Eleganz, technische Meisterschaft oder Liebhaberei, sondern ausschließlich um Status, leicht faschistoide Gewaltästhetik und die Demonstration eines in seiner Struktur so unglaublich einfach gestrickten Begriffs von scheinbarer Oberschicht.
Und genau dafür ist dieses unfaßbar schlecht gestaltete Fahrzeug perfekt geeignet,
Und ein feiner, alter Range Rover Vogue EFI oder ein Monteverdi Safari eben nicht…
Hui.
Gute Worte über ein Auto, was Menschen brauchen, mit denen ich nichts zu tun haben will. Danke dafür. Ich lese euch jetzt mal ein bisschen öfter.
Sandmann
Enzo Ferrari würde sich im Grabe Umdrehen, wenn die Marmorplatte darauf nicht so schwer währe. Ferrari verliert seine DNA die Enzo so viele Jahre gepflegt hat. Entschuldigen Sie herr Ferrari. Wie heisst es doch so Wahr: „Denn sie wissen nicht was sie tun!“
Tja, Geld regiert die Welt.
Waren es früher einige Großindustrielle, Adlige und Schauspieler (die ihre Rollen im Anzug spielten und diesen auch privat trugen), sind es heute viele Menschen, die viel Geld mit anderen Dingen verdienen. Rapper, App-Schreiber etc..
An sich ja erfreulich, dass jeder heute die Möglichkeit hat, Millionär zu werden und nicht zwingend in seiner Kaste festzuhängen.
Stil bleibt dabei halt auf der Strecke.
Hatte Rolls Royce seinerzeit einem Christian Anders noch mitgeteilt, dass man ihm leider keinen goldenen Silver Cloud liefern könne, da man solch eine Farbe nicht im Programm habe (der seinerzeit große Händler aus Düsseldorf hat ihm den Wagen dann so nachlackiert und die Mär hält sich wacker, dass der Wagen vergoldet war), bekommt man heute einen Schrecken, wenn man die Website von Rolls aufruft.
Schwarze Kühler, gewaltige Räder und vierfarbiges Leder mit gelb, lila und orange, gekrönt von einem Sternenhimmel-Firlefanz. Das heisst dann noch großartig „Bespoke“.
Aber die wollen ja Geld verdienen und nicht den Stil bewahren ……
Als ich jung war, gab es Geländewagen.
Einen Land Rover (der noch nicht Defender hieß, weil es halt der Land Rover war), einen Jeep CJ7, einen Toyota Landcruiser und dann noch den Patrol und den Pajero (Schock: Einzelradaufhängung vorn!).
Etwas größere Geländewagen mit mehr Platz gab es auch, einen Jeep Wagoneer und einen Range Rover. Geländewagen!
Und plötzlich kam der BMW X5 mit Einzelradaufhängung, selbsttragender Karosserie und ……. ohne Untersetzung. Und wurde gekauft.
Später kam dann das völlig sinnbefreite SUV-Coupé, bei dem hinten nicht mal ein ordentlicher Hund aufrecht sitzen kann.
Und ganz viele von den Dingern ohne Allradantrieb.
Zu meinem Erstaunen und Bedauern haben diese Teile dann wunderbare Kombis, Limousinen und sinnvolle Minivans massakriert, weil Opa gern einfach ins Auto reinlaufen und nicht mehr einsteigen will und sich auch noch für sportiv hält, wenn er in einem popeligen Touran statt in einem Golf Plus sitzt.
Was soll man machen, die Leute kaufen den hässlichen Schrott?!
Sorry, ich meinte Tiguan, nicht Touran.
schön. danke.