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Erfahrung Mercedes 500 SL (2002)

Deutsche Ingenieurskunst

Unter allen SL ist die Baureihe R230 wohl die am wenigsten geliebte. Warum dem so ist, das verstehen wir jetzt nicht wirklich. Eingeführt im Oktober 2001, gehört sie zu den letzten «wahren» Mercedes-Benz, wurde noch unter Hochhaltung und Hochachtung aller Regeln deutscher Ingenieurskunst entwickelt und dann auch gebaut. Und auch wenn beim Design schon viel Hilfe von Computern dabei war: die fünfte SL-Generation ist noch ein echter Sacco. Ob es sein Meisterwerk war, naja, darüber kann man sicher geteilter Meinung sein.

Der R230, der da vor uns steht, ist gerade einmal 20 Jahre alt. Das sieht man ihm von aussen nicht wirklich an, denn eben: früher trat der Stern noch an mit dem Anspruch, dass aus jedem Modell ein Klassiker werden soll. Damals war der Benz ein grosses, schweres Trumm, das wurde ihm im Vergleich zu seinem Vorgänger R129 auch angekreidet. Heute wirkt er schon fast filigran, leichtfüssig, jedes Mittelklasse-SUV ist unterdessen länger als dieser Oberklasse-Roadster. 4,53 Meter sind es in der Länge. Und nur gerade 1,81 Meter in der Breite.

Innen hingegen ist wirklich viel Zeit vergangen. Das Holzfurnier wirkt wie aus einem schlechten 80er-Jahre-Film, es gibt noch sehr viel Schalter und Tasten und Kipphebel; nein, es ist nicht so, dass wir die modernen Touchscreens vermissen würden, aber in Sachen Ergonomie wurden schon eklatante Fortschritte erzielt in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Und was damals Aufpreis kostete und Multikontur-Komfortsitze hiess, mutet jetzt an wie der Kommando-Stuhl aus Raumschiff Enterprise. Was man aber sagen darf: Komfortabel sind die Dinger tatsächlich. Und wenn das Dach offen ist, fühlt man sich auf den 1,81 Metern Breite auch nicht eingeengt.

Und es fährt sich auch anständig. Bei unserem Exemplar arbeitet der bekannte 5-Liter-V8 (M113 E50 – das E steht für Saugrohreinspritzung), 306 PS, 460 Nm maximales Drehmoment zwischen 2700 und 4250/min, drei Ventile pro Zylinder. Offiziell soll sich der 500 SL in 6,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h wuchten lassen haben, das mag man heute gar nicht mehr glauben. Und auch nicht unbedingt versuchen. Die 5-Gang-Automatik schaltet behäbig, aber dafür sanft, doch wer den Benz zu heftig tritt, der erschreckt ihn in erster Linie. Er sucht dann nach einem passenden Gang, und bis er diesen gefunden hat, ist das Mütchen des Piloten meist schon wieder abgekühlt, die ganze Fuhre fährt entspannt so weiter wie zuvor. Schreiben wir es mal so: Vor 20 Jahren war das sicher top – heute ist das friedlich, entspannt.

So rollen wir also gepflegt einher, lauschen dem Blubbern des Achtzylinders (und denken nicht an den nächsten Aufenthalt an der Tankstelle, vor 20 Jahren gehörten zweistellige Verbrauchswerte noch zum guten Ton), erfreuen uns am komfortablen Fahrwerk. Das war damals das Sahnehäubchen, Active Body Control (ABC), inklusive Wankstabilsierung. Da gibt es auch heute nichts zu meckern, lockeres, auch durchaus flottes Gleiten kann der R230 immer noch auf sehr hohem Niveau. Fies den Berg hochknallen war sein Ding nie, das verhinderte schon die träge Automatik. Und mit den AMG-Versionen (SL 55 AMG ab 2022) war es auch nicht besser, sie waren viel zu kopflastig, da ging die Vorderachse oft erstaunliche Wege.

Aber warum schreiben wir all dies, was kümmert uns ein 20 Jahre alter Benz? Bei der Oldtimer Galerie in Toffen kommt am 15. Oktober 2022 genau dieses Exemplar hier unter den Hammer. Scheckheftgepflegt, wie es so schön heisst, bei 160’000 Kilometern ein lückenloses Serviceheft, überhaupt ein sehr feiner Zustand. Der wahre Hammer aber ist: der Schätzpreis liegt bei 14’000 bis 16’000 Franken. Das liegt in erster Linie daran, dass die R230 halt nicht so sehr geliebt werden. Und folglich nicht besonders gesucht sind. Zudem wurden fast 170’000 Stück verkauft in seiner zehnjährigen Bauzeit, ein Sammlerstück wird er auch deswegen nie werden.

Aber: Was kriegt man heute sonst für dieses Geld? Ok, einen neuen Dacia Sandero. Doch sonst? Der Gebrauchtwagenmarkt ist ausgetrocknet, sogar weisse Octavia Combi mit 300’000-Vertreter-Kilometern auf der Uhr werden höher gehandelt. Hier haben wir aber ein elektrisches Stahlfaltdach, Multikonturlederkomfortsitze, einen richtig feinen Achtzylinder, einen echten Sacco. Es spricht nichts dagegen. Ausser, man erwartet eine unfassbare Preissteigerung in den nächsten drei Wochen.

Alle Angebote der Herbst-Auktion der Oldtimer Galerie finden Sie: hier. Und bei uns gibt es noch reichlich gutes Zeugs im Archiv.

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