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Mercedes-Benz 190 SL

Freudenspender

Es ist dann halt einfach die reine Freude. Die Sonne scheint, die Luft riecht endlich nach Frühling, die Strassen über den Hauenstein  ist leer, weil alle anderen lieber auf der Autobahn rumstehen. Es ist so ein bisschen Arbeit am grossen Lenkrad (Servounterstützung gibt es keine), in den Kurven quietschen die Reifen – man hat das Gefühl, so richtig flott unterwegs zu sein. Bis der Blick auf den Tacho fällt; es ist alles in bester Ordnung, der uniformierte Freund und Helfer, der gern an den unmöglichsten Stellen am Strassenrand steht, würde uns lächelnd durchwinken. Es gehört dies zu den grossen Freuden des Oldtimer-Fahrens: man verspürt jede Menge Fahrspass, ist schon fast so ein bisschen am Limit (zumindest des Fahrzeugs) – und muss trotzdem nicht um seinen Ausweis fürchten. Mit einem modernen Sportwagen wäre man bei gleicher Fahrweise wohl doppelt so schnell unterwegs – und die Fahrerlaubnis auf jedem Meter akut gefährdet.

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Es snd aber halt auch nur gerade 105 PS, die für diese Fahrfreude im Mercedes-Benz 190 SL zur Verfügung stehen. Damit wollen relativ massive 1150 Kilo (plus Fahrer) bewegt werden; ein Benz war damals noch für die Ewigkeit gebaut, das erklärt das im Vergleich zur zeitgenössischen Konkurrenz verhältnismässig hohe Kampfgewicht. Und über die Jahre sind aus dem Pferden Ponies geworden; übermotorisiert fühlt er sich nicht an, der bald 60-jährige Mercedes. Was aber auch daran liegt, dass wir ihn nicht plagen wollen, spätestens bei 4000/min wird die nächste Fahrstufe eingelegt. Es stehen eh nur vier Gänge zur Auswahl, und der Schalthebel ist zierlich, man behandelt ihn mit einer gewissen Zärtlichkeit. Und auch die Bremsen sind nicht das, was man sich von modernen Autos gewohnt ist: zuerst passiert gar nichts, und dann auch beim festeren Zutreten nicht viel mehr. Also hält man gerne etwas Abstand zum Vordermann, behilft sich auch der Motorbremse (also: einem tieferen Gang), gefällt sich selber durch die ganz klassische Anwendung des Gangwechsels mit Zwischengas. Und würde eigentlich gerne ein Liedchen pfeifen beim Fahren.

Ach, diese internen Bezeichnungen bei Mercedes. Das macht zwar alles Sinn, und die Kenner wissen auch immer sofort, um welches Modell es sich handelt. Doch manchmal entbehrt das System der dringend notwenigen Logik, und dann wird es schwierig. Bestes Beispiel ist wahrscheinlich der 190 SL, der vor allem deshalb unter dem Namen 190 SL bekannt ist, weil seine interne Bezeichnung W121 ist. Mit W120/121 wurden intern aber auch Limousinen bezeichnet, die besser bekannt sind als «Ponton». Aber diese Geschichte handelt von 190 SL alias W121 und auch genannt: der «Nutten-Benz». Doch dazu kommen wir dann irgendwann später.

Es sei zuerst aber wieder einmal Maxi Hoffman erwähnt, wir haben schon von ihm erzählt im Zusammenhang mit dem Mercedes 300 SL (W198) und dem BMW 507, zwei der schönsten Automobile der deutschen Nachkriegszeit, und für Porsche tat er auch viel, und für Alfa, Jaguar, etc.. Maxi also war Importeur von Mercedes in den USA und hatte den dringenden Wunsch nach sportlicheren Geräten; solche, so erzählte er dem Vorstand in Stuttgart, könne er verkaufen wie warme Semmeln. Wir wissen nicht, wie Maxi das jeweils gemacht hat, aber er muss sehr überzeugend gewirkt haben, nicht nur der Mercedes-Vorstand erfüllte ihm quasi alle Wünsche. Mercedes hatte da seit 1952 das Flügeltüren-Coupé 300 SL (W194) auf den Rennstrecken rund um die Welt am Laufen. Und das mit grossem Erfolg. Nach dem grandiosen Sieg bei der Carrera Panamericana 1952 war für Hoffman klar, dass er davon eine zivile(re) Variante brauchte. Doch gleichzeitig, so vermittelte er das in Stuttgart, hätte er auch noch gerne einen offenen Sportwagen. Mit Sportwagen, erzählt Hoffman den Deutschen, würde Mercedes-Benz das Modellprogramm durch attraktive und exklusive Fahrzeuge in einem neuen Segment abrunden – ausgesprochen sportliche Autos fehlten nämlich seit 1935 im Angebot. So fiel bereits Mitte September 1953 die Entscheidung des Vorstands, den 190 SL und den 300 SL in Serie zu bauen.

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Rund fünf Monate später feierten beide Typen ihre Premiere in Amerika: Sie wurden auf der International Motor Sports Show in New York gezeigt, die vom 6. bis zum 14. Februar 1954 stattfand, damals die wichtigste Automesse jenseits des Atlantiks. Das bedeutete, dass den Ingenieuren sehr wenig Entwicklungszeit blieb. Eile war vor allem beim 190 SL geboten, der auf der technischen Basis des Typ 180 neu entwickelt werden musste, während für den Seriensportwagen 300 SL die weiterentwickelte Generation des Rennsportwagens 300 SL als Vorbild diente. Schon wenige Tage nach der Vorstandsentscheidung prüfte das Direktorium von Daimler-Benz die ersten Entwürfe, und weitere zwei Wochen später können sie das erste Modell im Massstab 1 : 10 beurteilen, dem acht Wochen danach ein 1:1-Modell folgte.

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Während der 300 SL bereits von August 1954 an im Werk Sindelfingen gebaut wurde, überarbeitete man den 190 SL noch einmal gründlich. Denn das auf der International Motor Sports Show in New York gezeigte Fahrzeug war weder technisch erprobt noch stilistisch ausgereift. Im März 1955 präsentierte Daimler-Benz dann auf dem Automobil-Salon Genf die endgültige Ausführung des Sportwagens. Der Karosserieentwurf stammte von Walter Häcker, er war eng an das Flügeltüren-Coupé 300 SL angelehnt, obwohl ausser dem Radstand mit 2400 Millimeter wenig technische Gemeinsamkeiten existieren; jedoch hatte der Typ 190 SL im Gegensatz zu diesem ein versenkbares Verdeck. Die Serienkarosserie zeigte im Vergleich zum Showcar deutliche Unterschiede: Die stilisierte Ansaughutze auf der Motorhaube war entfallen, die Vorderkante der Motorhaube nach hinten verlegt, auch über den hinteren Radausschnitten gab es Lanzetten, und die Stossstangen, Blinker und Rückleuchten waren modifiziert. Das Werk Sindelfingen produzierte die Vorserie ab Januar 1955, die Hauptserie lief im Mai an. Die Bezeichnung SL für Super Leicht ist beim 190er mit einem Leergewicht von 1140 kg eine eher schmeichelhafte Untertreibung, aber er sollte halt als kleiner Bruder der bekannten Ikone vermarktet werden.

Als Basis diente das Fahrwerk der neu entwickelten Ponton-Limousine 180 (Baureihe W120), wobei durch die Eingelenk-Pendelachse und unabhängig aufgehängte Vorderräder ein sicheres Fahrgefühl vermittelt werden sollten. Der Motor stammte von den 6-Zylinder der Modelle 220 und 300 ab, wobei zwei Zylinder eliminiert und der Hub um 4,4 mm verkürzt wurde. Mit dem kurzen Hub von 83,6 mm und einer grossen Bohrung von 85 mm kommt der Motor auf ein Volumen von 1897 ccm, dank obenliegender Nockenwelle und hängenden Ventilen auf eine Leistung von 105 PS bei maximal 6000/min. Einspritzung gibt es damals noch nicht (ausser: im 300 SL), der Motor wird durch zwei Flachstrom-Registervergaser von Solex versorgt. Die zweite Stufe schaltet sich erst bei höheren Drehzahlen ein, um den Benzinverbrauch einzuschränken. Ein damals äusserst fortschrittliches Konzept, trotzdem ist ein Durchschnittsverbrauch von 13 L auf 100km für heutige Begriffe nicht gerade sparsam.

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Der Vergaser wiederum hat sich als das heikelste Aggregat im Motorraum einen notorischen Ruf unter 190SL-Fahrern geschaffen, da die Drosselklappenwellen mit der Zeit ausschlagen und sich dadurch der Motor nicht mehr genau einstellen lässt. An der Technoclassica in Essen gibt es inzwischen Händler, die während der Ausstellung Kurse zur Vergasereinstellung anbieten. Die vier Trommelbremsen von ATE sind gross dimensioniert und werden durch ihr Belüftungssystem Turbo genannt. Sie sind wohl adäquat bei vernünftiger Fahrweise, aber eine Vollbremsung mit Radialreifen bei 100 km/h und mehr zeigt schnell ihre Grenzen auf. Wie damals noch üblich, verfügt das Auto nur über ein 1-Kreis-Bremssystem, ein Risiko, wenn – wie dem Autor geschehen – die Bremsflüssigkeit sich unbemerkt von dannen macht und der Druck aufs Bremspedal keine Wirkung mehr zeigt. Dann dauert auch der Griff zur schirmstockförmigen Handbremse tief unter dem Armaturenbrett eine gefühlte Ewigkeit.

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105 PS sind für ein sportliches Fahrzeug ohne Rennsportambitionen jener Zeit eigentlich ein angemesser Antrieb. Trotzdem hat der Motor die meiste Kritik der Fachjournalisten abbekommen. Der Prospekt des Werks beschreibt die Drehzahl bei 100 km/h mit 3370 U/min, wo auch das maximale Drehmoment von 14,5 mkg erreicht wird. Das spricht zwar für die hohe Elastizität im unteren Bereich, aber sobald man den Motor weiter dreht in Richtung Höchstdrehzahl von 6000/min, kommt der Eindruck auf, dass sich der Motor widersetzt. «auto, motor und sport» schrieb in der Ausgabe 15/1960: «Mit 105 PS mag er durchaus sportlichen Ansprüchen gerecht werden. In der Praxis macht es aber nicht viel Freude, diese Leistung auszunützen. Schon bei harmlosen 3000/min gibt er ein giftiges Geräusch von sich, dass jedermann meint, es sei wer weiss was los  –  dabei ist in diesem Drehzahlbereich noch gar nichts los.»

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Trotzdem: Nicht nur durch seine zeitlos schöne Form kann der 190SL seinem Anspruch als «Tourensportwagen» gerecht werden. Der Komfort und die Ausstattung heben ihn klar von seinen sportlicheren Konkurrenten ab und die leichte Bedienung macht ihn vor allem bei weiblicher Klientel bald sehr beliebt. Das riesige elfenbeinfarbige Lenkrad steht vor einem hübschen Armaturenbrett mit viel Chrom. Vor allem sind die Instrumente vollständig mit grossen klaren Zifferblättern von Tachometer und Drehzahlmesser, daneben Messuhren für Kühlwassertemperatur und Oeldruck, und auch die Bedienungsknöpfe und Hebel sind leicht erreichbar. Nur die Sitze sind ein weiterer klarer Beweis, dass die Sportlichkeit in Grenzen gehalten werden soll, denn es gibt keinen Seitenhalt im grossen und breiten Cockpit. Das Faltdach dagegen ist ein Traum und setzte damals den Standard für alle folgenden Modelle, auch diejenigen der Konkurrenz.

Mit einem Verkaufspreis von 16‘500 DM im Jahr 1955 war der 190SL natürlich kein billiges Auto, doch fand er zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs genügend Käufer, um erfolgreich zu sein. Man konnte sich sehen lassen damit, schliesslich wurde das Auto auf Boulevards spazieren gefahren und häufig als Requisit für Filme, Modezeitschriften und Stars gesehen. Einen unerwarteten Verkaufseinbruch gab es lediglich, als das Frankfurter Callgirl Rosemarie Nitribitt, die einen schwarzen 190SL fuhr, am 1. November 1957 ermordet wurde. Ihr wurden Verbindungen zu den wichtigsten Wirtschaftsführern im Land nachgesagt, der Mord wurde nie aufgeklärt. Danach sank die Nachfrage des Autos um mehr als 20 Prozent, denn keine ehrbare Ehefrau wollte mehr mit einem solchen Auto gesehen werden. Aber es gab genug internationalen Glamour mit Pressebildern von Grace Kelly, Gina Lollobrigida, Zsa Zsa Gabor und Francoise Sagan im 190er, so dass die hastigen Verkaufsaktionen 1958 wieder eingestellt werden konnten. Die Verbindung Nitribitt und 190SL besteht bis zum heutigen Tag.

Max Hofman hatte Recht gehabt. Genau 25‘881 Exemplare wurden von 1955 bis 1963 gebaut, davon 10‘368 in die USA exportiert. Noch im Jahr 1954 konnte Mercedes-Benz nur 639 Autos aller Typen in die USA exportieren, im Folgejahr waren es bereits 830 Exemplare des 190SL alleine. US$ 4‘000 war der Preis damals. Und ein englisches Magazin hat einst dem Auto das höchste Kompliment gemacht: «Konstruiert wie ein Schlachtschiff, gebaut wie eine Uhr, gefertigt wie ein Rolls-Royce.»

(Wir bedanken uns bei Hans Treml, der selber einen 190 SL fährt, für den geschichtlichen Rückblick. Und empfehlen gerne sein wunderbares Werk zu den Schweizer Rennsport-Grössen, «Die Aussenseiter». Und wir bedanken uns bei Kettenholz Classics (www.kestenholzgruppe.com), die uns den schönen 190 SL zur Verfügung gestellt hat. Dieses Fahrzeug mit Jahrgang 1961 steht übrigens zum Verkauf für 136’000 Franken – was uns sehr fair erscheint.) Mehr Mercedes haben wir in unserem Archiv.

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