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Mercer-Cobra

Sackgasse

Manchmal entstehen Geschichten auch auf Umwegen. Eigentlich waren wir ja auf der Suche nach mehr Informationen zur Carrozzeria Sibona & Basano. Von der wir eigentlich nur wussten, dass sie Anfang der 60er Jahre in Turin einige Karosserien für Abarth hergestellt hatte, sicher die Monomille GT, einige 1000 Bialbero (kommen dann noch), auch die Periscopo, verschiedene Simca. Doch dann tauchten da noch einige weitere spannende Fahrzeuge auf, für Bizzarrini hatten Sibona & Basano auch gearbeitet, für NSU, viel für Studebaker, auch interessante eigene Entwürfe gab es; wir wollen dann da noch ein paar Geschichten erzählen. Beginnen wollen wir aber mit der Mercer-Cobra, eine dieser spannenden Sackgassen in der Automobil-Industrie, in der noch manche Marke und Persönlichkeit zusammen kamen, Cobra, Mercer, Virgil Exner.

Damals, in den 60er Jahren, wurden tatsächlich noch Zeitungen und Zeitschriften gekauft und sogar gelesen. Der «Esquire», gegründet 1933, war nach dem Krieg so etwas wie das erste Männer-Magazin, 1951 gab es dort auch das erste Centerfold überhaupt (und wer war darauf zu sehen? Ja, Marilyn Monroe); ab 1951 arbeitete übrigens auch ein gewisser Hugh Hefner für den «Esquire». Für die automobilen Themata war in den 50er und 60er Jahren bei diesem Männer-Magazin eine Frau zuständig, Diana Bartley. Sie schrieb dort wunderbare Stories (man darf das durchaus einmal googeln, «Diana Bartley Esquire», man wird grossartige Sachen finden) – und sie hatte 1963 die Idee, den gerade frisch entlassenen Chyrsler-Chefdesigner Virgil Exner zu beauftragen, sich Gedanken darüber zu machen, wie denn einst berühmte (amerikanische) Marken zu jenem Zeitpunkt hätten aussehen können. Der erste Artikel wurde in der Dezember-Ausgabe des Jahres 1963 publiziert (es gab dann auch noch eine Fortsetzung) – und hatte erstaunlich weit reichende Folgen. Zuerst einmal gab es Modell-Autos von Renwal (die heute happige Preise erzielen) – man darf dies auch gleich als Übersicht zu den Exner-Vorschlägen betrachten.

Der Auskenner wird nun sehen, dass die Exner-Vorschläge mehr als nur Zeichnungen waren. Der Bugatti wurde gebaut, bleib aber ein Einzelstück. Mehr Erfolg hätte der Duesenberg haben können, es wurde eine neue Firma gegründet und auch 50 Verkaufsverträge waren bereits unterzeichnet, unter anderem mit Elvis Presley, doch dann gab es finanzielle Unstimmigkeiten. Und so wurde aus dem Duesenberg ein Stutz, doch das haben wir schon einmal beschrieben, hier. Dann gab es aber auch noch den Vorschlag für ein «Revival» von Mercer – und dieses Fahrzeug schliesst den Kreis nach Italien, zu Sibona & Basano.

Der Präsident der amerikanischen «Copper Development Association», George M. Hartley, hatte den Mercer-Entwurf von Exner im «Esquire» gesehen. Er meldete sich beim Designer – und bestellte das Fahrzeug. Exner und sein Sohn gleichen Vornamens machten sich sofort an die Umsetzung, bestellten bei AC eine «nackte» Cobra (CSX2451, also: 289), liessen diese nach Turin liefern. Exner hatte früher viel mit und für Ghia gearbeitet, doch die Italiener befanden sich gerade in Schwierigkeiten, und so kamen sie über eine Empfehlung von Brooks Stevens (der auch eine eigene Geschichte wert wäre, er ist eigentlich der Erfinder der SUV) zu Sibona & Basano. Zur Geschichte dieser «carrozzeria» gibt es sehr widersprüchliche Angaben. Wahrscheinlich war es so, dass Walter Basano und Pietro Sibona sich bei der Carrozzeria Boano kennengelernt hatten, sich 1958 selbständig machten und als ersten Auftrag für Pietro Frua den Prototypen des Renault Floride bauten. Auch an den Vorarbeiten am Simca 1000 sollen sie beteiligt gewesen sein (was dann wiederum den Kontakt zu Abarth erklärt), am Selene II von Ghia, an einem Vignale-Alfa, an der Kelly-Corvette. Neben Abarth war Studebaker der wichtigste Kunde – und so ist auch die Verbindung über Brooks Stevens zu den Exners zu erklären. Sicher ist auch, dass Sibona & Basano in der nur kurzen Zeitspanne ihres Bestehens (1966 war schon wieder Schluss) zu den besten italienischen Adressen gehörte, was die Verarbeitung von Aluminium und Kunststoff betraf.

Für die Mercer-Cobra wurde zuerst einmal der Radstand der AC Cobra deutlich verlängert. Der Exner-Aufbau wurde dann aus insgesamt elf verschiedenen Metallen und den entsprechenden Legierungen hergestellt – es ist mehr die Arbeit eines Juweliers als klassischer Karosserie-Bau. Weil der Kunde ja die vereinigten amerikanischen Kupfer-Hersteller waren, wurde allerorten und dann auch noch reichlich Kupfer verwendet, das Lenkrad ist genauso aus Kupfer wie die Türtafeln, Teile des Kühlers und sogar die Bremsscheiben. Das gesamte Fahrzeug war ein feines Konzept mit schönen Details, die Frontleuchten sind hinter Kupferdeckeln verborgen und springen hydraulisch aus ihrem Versteck, wenn sie gebraucht werden. Das Fahrzeug war Ende 1964 bereits fertig und komplett fahrfähig, die Exners hätten gerne eine kleine Serie aufgelegt, doch den Kupfer-Baronen schien der Aufwand zu gross. Am Geld kann es nicht gelegen haben, die Herstellungskosten betrugen inklusive Cobra und der grossartigen Arbeit von Sibona & Basano weniger als 15’000 Dollar; die Exners verrechneten Hartley dann 35’000 Dollar.

Das Fahrzeug existiert heute noch, es sieht heute noch so gut aus wie vor 55 Jahren. Nachdem es gut ein Jahrzehnt lang als Werbe-Botschafter für die Kupfer-Produzenten rund um die Welt gereist war, ging es zuerst in den Besitz des «Concept Car»-Sammlers Joe Bortz, später dann zur Lyon-Familie, die die Mercer-Cobra mehr als 20 Jahre hegte und pflegte. 2011 wurde das Fahrzeug von RM Sotheby’s für 660’000 Dollar an einen neuen Besitzer verkauft.

Andere schräge Automobile gibt es immer in unserem Archiv.

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