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Fahrbericht Range Rover (2022)

Super Size Me

Dreiundzwanzig (in Worten: 23) Millionen Fahrzeuge werden in diesem Jahr in China wohl verkauft. Das ist wahrscheinlich erstmals mehr als ein Drittel aller Verkäufe weltweit. Zum Vergleich: Nordamerika wird auf noch etwa 14 Millionen kommen, Europa vielleicht auf 11 Millionen. Zudem gab es im weiterhin kommunistisch regierten Reich der Mitte allein im vergangenen Jahr eine Million neue Millionäre (unterdessen sollen es 6,2 Millionen sein). Menschen, die ihr Geld im Vergleich etwa zu den zurückhaltenderen Europäern gern ausgeben. Ihren Reichtum auch zur Schau stellen wollen. Es ist allein schon deshalb klar, welcher Markt für die Hersteller von automobilen Luxus-Produkten Priorität hat.

Früher war es bei mir so: Auf die Frage, welche drei Fahrzeuge ich mir denn bei freier Wahl gerne in die Garage stellen würde, kam dann jener Alfa, vielleicht dieser Porsche, immer auch ein Miura. Und dann folgte aber immer auch gleich noch der Nachsatz: Und einen Range Rover, unbedingt auch einen Range Rover. Ich bin aufgewachsen mit einem Range Rover Classic, ich war als junger Journalist ganz nah dabei bei der zweiten Generation (ab 1994), ich fuhr mit der dritten Generation durch die Wüste. Mit dem vergangenen Range Rover (LG/L405, ab 2012) hatte ich dann erstmals ein bisschen Mühe, zu gross war er mir, auch im Auftritt etwas gar protzig, pompös. Aber halt immer noch irgendwie «benchmark», wenn man ein Fahrzeug wollte, das sowohl auf wie auch neben der Strasse wirklich tauglich war. Dazu kam der 4,4-Liter-V8-Diesel – welch eine Pracht von einem Selbstzünder.

Also, wir hatten damals 4,99 Meter Länge und mindestens 2,2 Tonnen. Und dazu noch jene kleine Anekdote, die wir immer wieder gerne erzählen: Bei der Fahrpräsentation in Marokko wurde ein hübscher Parcours durch den Sand ausgesteckt. Nichts Grobes, mit etwas Umsicht hätte man das wohl auch in einem Fiat Panda gepackt (nicht dem 4×4, also, mit dem sowieso). Neben der Strecke standen aber ganze Heerscharen von Defendern. Um die ganz neuen und mit reichlich elektronischen Hilfen versehenen Range Rover aus der Bredouille zu ziehen. Ach ja, drei Reifenschäden an einem Tag hatten wir damals auch.

Jetzt haben wir mindestens 5,05 Meter und fast 2,5 Tonnen. Gut, in der Grösse ist das jetzt nicht der wilde Zuwachs, da hat er weniger zugenommen als in der Breite (2,05 Meter anstatt 1,98) und nur unwesentlich mehr als in der Höhe (1,87 Meter anstatt 1,83). Aber darum geht es nicht, alle Autos werden adipöser – es ist der Auftritt des neuen Range Rover (L460). Klar, er ist viel eleganter als eine G-Klasse, mit den amerikanischen Full-Size-Brocken wollen wir ihn auch nicht vergleichen (schon mal den Jeep Grand Wagoneer betrachtet?), Ben-Tanga und das Rolls-Royce-Dings sind sowieso «over the edge», aber da ist auch etwas in seinem majestätischen Auftritt, mit dem ich gar nichts anfangen kann: Arroganz. War so ein Classic-Range-Rover irgendwie noch wie die Queen in Gummistiefeln und die zweite Generation wie Charles im Pferdestall (das war jetzt keine gute Assoziation), ist der Neue nun – Meghan?

Allein die Gürtellinie liegt so hoch wie Lionel Messi beim Kopfball, das Fahrzeug sieht gerade mit verdunkelten Scheiben aus wie ein fahrender Bunker. So im Sinne von: Wir hier drinnen können mit Euch da draussen gar nichts anfangen. Denn Eure Armut kotzt uns bloss an. Wir hatten das kürzlich schon beim Ferrari Purosangue geschrieben: Fahrzeuge wie dieser neue Range Rover sind das völlig falsche Zeichen in unserer Zeit. Denn es sind schwierige Zeiten, für fast alle. Ausser für die chinesischen und sonstigen Neureichen, Krisengewinnler, Klimaleugner.

Selbstverständlich fährt er sich gut. Unglaublich kommod, auch auf schlechtesten Strassen. Er kann auch ganz flott, es gibt eine neue Fünflenker-Achse hinten, Luftfederungs sowieso, da haben die indischen Engländer keinen Aufwand gescheut. Auch wenn wir ihn jetzt nicht durch grobes Gelände plagen konnten, so darf man davon ausgehen, dass er auch das so richtig gut kann, diese Kompetenz wollen wir Land Rover definitiv nicht abschreiben. Andererseits gibt es auch Offroad physikalische Grenzen, und die werden mit 2,5 Tonnen nach unten verschoben. Und dann wieder andererseits: wer einen Range Rover kauft, wird sorgsam darauf achten, dass seine massgeschneiderten Lederschühchen nie auch nur feucht werden. Es gab damals, bei der Präsentation der vierten Generation, «off the record» ein paar hübsche Zahlen, wie oft so ein Range Rover tatsächlich in einem der vielen Off-Road-Modi bewegt wird (Resultat: quasi nie). Dann werden wir dann wohl beim L460 in der Nähe von Null sein. Mit den 22-Zöllern und Niederquerschnitt-Gummis kommt das Trumm ja dann auch kaum von der nassen Wiese. Aber dieses Schicksal teilt er ja mit noch so manchem SUV.

Innen, doch, gut. Zurückhaltender als auch schon, denn Minimalismus ist schliesslich der wahre Luxus. Und der gut positionierte Touchscreen ermöglicht eine Reduktion auf das Wesentliche. Auch über die Qualität der Materialien sowie die Verarbeitung brauchen wir nicht zu streiten, weit oder sogar ganz oben, doch das darf man bei einem Basispreis von 125’900 Euro (146’800 Franken) ja auch erwarten. Allerdings: Wer hinten sitzt, der sitzt da bei weitem nicht mit so fürstlicher Beinfreiheit wie in einem aktuellen E-Mobil. Bloss: höher. Wenig schön ist zudem, dass man in die Lüftungsschlitze sieht in einem Fahrzeug, das dann auch gut über 200k kosten kann, aber das haben wohl nur wir gesehen, weil wir ja auch etwas bemängeln wollen. Das konnten wir beim Antrieb nicht, der uns zur Verfügung gestellte D350 mit seinem 350 PS starken 3-Liter-Reihensechszylinder-Diesel versah seinen Dienst ausgezeichnet, sehr laufruhig, absolut souverän, 700 Nm maximales Drehmoment schon ab 1500/min sind auch eine sehr gute Ansage. Ob diese Maschine, deren Verbrauch mit mindestens 8,2 Litern angegeben wird, heute noch zeitgemäss ist, wollen wir hier nicht weiter beurteilen.

Ja, irgendwie ist es schade, dass der Range Rover abgedriftet in höchste Sphären. Wie ja auch der neue Defender nicht mehr das ist, was er einst war. Die Erde dreht sich weiter, klar, aber es ist auch eine Frage der Geisteshaltung, der Strategie, der Einschätzung der Lage. Aus Mitteleuropa hat sich der L460 mit seiner schieren Grösse wohl verabschiedet, auf normierte Parkplätze und in durchschnittliche Parkhäuser passt er nicht mehr, die Zahnarztgattin will mit so einem Dickschiff nicht mehr in die Stadt zum Kauf von Bio-Petersilie fahren, weil sie es nirgends abstellen kann. Und auf deutschen Autobahn-Baustellen kriecht man hinter lettischen Lastzügen her, weil man auf der zweiten Spur schlicht keinen Platz hat. Und das ist ja auch irgendwie: peinlich.

«Super Size Me» ist ein unbedingt sehenswerter Film von Morgan Spurlock aus dem Jahr 2004. Spurlock dokumentierte, wie er einen Monat lang jeden Tag drei Mal und ausschliesslich bei McDonald’s ass – und was das für psychische und psychologische Folgen auf ihn hatte. Natürlich wertete er dabei, schon die Versuchsanordnung deutet ja klar darauf hin. Doch was er halt auch gut aufzeigte, das waren einige der grundlegenden Problematiken unserer westlichen Gesellschaft: immer mehr, immer grösser. Man muss diesen Zusammenhang mit dem Range Rover jetzt nicht verstehen wollen. Aber eben, vielleicht würde gewissen Auto-Herstellern etwas Demut ganz guttun: Immer nur oben den Rahm abschöpfen, das ist alles andere als nachhaltig. Andererseits, wenn man die Verkaufszahlen von JLR betrachtet, dann ist das wohl schlicht und einfach nötig für das weitere Überleben.

Vernünftigere Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv.

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