Das Glück finden
Bernard Moix besitzt den Porsche 356 SC seines Stiefvaters. Diese Tatsache allein wäre nicht weiter ungewöhnlich, die Geschichte dazu ist es aber schon. Erste Erinnerungen an das Fahrzeug hat Moix, da konnte er kaum laufen, «doch ich kann mich noch genau an den Duft erinnern». Aus dem kleinen Bub wurde ein erfolgreicher Grafiker, seinen Stiefvater verlor er aus den Augen, suchte wieder den Kontakt, fragte ihn dann auch immer wieder nach dem Porsche. Die Antworten waren ausweichend, mal gab es den 356er noch, manchmal nicht, doch Moix liess nicht locker. Dann, eines schönen Tages im Jahr 2007, führte ihn sein Stiefvater dorthin, wo er das seltene Stück seit 40 Jahren eingelagert hatte. Und übergab ihm die Schlüssel. Moix liess das Fahrzeug restaurieren, seit 2009 ist es wieder auf der Strasse – «und es riecht noch genauso wie in meinen Erinnerungen».
Das wiederum hat mit einer Form von Manie zu tun, die Bernard Moix mit Bedacht pflegt: Er lässt seine Porsche nicht von Grund auf restaurieren, sondern will so viel wie möglich im Originalzustand beibehalten. Das ist ein Umweg, der nicht nur viel Zeit und sicher auch Geld kostet, doch für Moix ist die Erhaltung der Geschichte zentral. «Ich habe wenig Ahnung von Technik, das ist mir nicht so wichtig», sagt der Walliser, «ich bin mehr der Aesthet, der Philosoph, der Geschichten liebt. Und es ist mir wichtig, dass meine Autos ihre Vergangenheit weiterhin erzählen können».
Erzählen kann Moix bestens, wenn man ihm zuhört, dann muss man beeindruckt sein von der Akribie, die er in seine Porsche steckt. Da ist dieses 55er 356 Coupé, das er vor bald einem Jahrzehnt kaufen konnte. Und von dem er über die Jahre die ganze Geschichte recherierte, dies auch aufgrund eines Photos, das er per Zufall fand. Auf diesem ist Ferry Porsche zu sehen, wie er mit genau diesem Porsche posiert. Aufgenommen wurde es 1956 in Meran, bei der ersten Porsche-Parade, zu der Ferry Porsche und sein Rennleiter Huschke von Hanstein Porsche-Fahrer aus aller Welt zusammengerufen hatten. Über seine guten Kontakte in der Porsche-Szene konnte Moix nicht nur den ersten Besitzer seines Coupé identifizieren, sondern suchte auch den Kontakt zu ihm. Der Mann, ein Industrieller aus Düsseldorf, war zwar schon verstorben, doch seine Tochter erwies sich als ausgesprochen hilfsbereit, hatte noch mehr Material, wusste, wer sonst noch auf dem Bild zu sehen ist. Über den Leiter des Archivs im Porsche-Museum in Stuttgart, Frank Jung, kamen weitere Details wieder ans Tageslicht – und Moix weiss jetzt, dass dieser Porsche 356 ein ganz besonderes Fahrzeug ist, 1955 in die Schweiz eingeführt, kurz darauf nach Deutschland verkauft, mit noch so mancher Sonderausstattung, die erst ein Jahr später auf dem Markt eingeführt wurde. Was ihm aber am wichtigsten ist: das Interieur dieses 356 ist noch vollkommen original. Und Ferry Porsche hatte seine Hand darauf.
Das ist beim seinem letzten Projekt, einem 356 Pre-A Speedster mit Jahrgang 1955, nicht mehr der Fall – das Fahrzeug stand jahrelang draussen in der Nähe von Marseille. Doch nur schon, wie Moix zu diesem Wagen gekommen ist, ist wieder eine dieser märchenhaften Geschichten. Er half einem Freund bei der Recherche zu einem 356 Speedster, den dieser gerade restaurierte. Und sagte ihm, so nebenbei, dass er auch an einem solchen Fahrzeug interessiert sei. Worauf ihm dieser entgegnete, ein Kollege habe gerade einen gefunden, eben jenes gute Stück, das bei Marseille bei Wind und Wetter draussen stand. Es gehörte einem älteren Herren, der noch andere nette Fahrzeuge in seinem Besitz hatte, einen Porsche 906 zum Beispiel, aber auch ältere Bugatti, der aber keine Zeit fand, den extrem seltenen Speedster wieder auf Vordermann zu bringen. Mitten in den Verhandlungen verstarb der Franzose, sein Sohn verkaufte Moix den Porsche – und das nächste Abenteuer konnte beginnen.
In diesem Fall musste es eine komplette Restauration sein. Die liess Moix bei Classic Fabrications in Honiton im Südwesten von England ausführen, bei Steve Kerti, einem Spezialisten für liebevolle Wiederaufbauten. Denn auch wenn der Speedster eine Ruine war, Moix wollte so viel vom noch vorhandenen Material erhalten wie nur möglich. Und auch beim Interieur und dem Dach setzte er nicht auf neues Material, das heute über spezialisierte Anbieter durchaus wieder erhältlich ist, sondern suchte auf der ganzen Welt nach noch gut erhaltenen Originalen. Der Motor lief selbstverständlich nicht mehr, doch er war noch in einem guten Zustand, der Aufwand für die Revision hielt sich in Grenzen.
Und selbstverständlich tauchte Bernard Moix wieder tief in die Geschichte dieses Fahrzeugs ein. Die ersten Speedster wurden 1955 für den amerikanischen Markt gebaut, die grosse Mehrheit ging auch über den grossen Teich, doch vier davon kamen in die Schweiz und zehn nach Frankreich; das Fahrzeug von Moix gehört zu dieser Auslieferung nach Frankreich.
Doch in diesem Moment sei die Frage erlaubt: Porsche 356 Pre-A Speedster – was bedeutet denn dieses «Pre-A» überhaupt? Die Porsche-Geschichte begann 1948 mit dem 356/1, der aber noch einen Mittelmotor hatte. Die ersten 50 Exemplare des Ur-Modells wurden noch in Alu und Handarbeit im österreichischen Gmünd gebaut, ab 1950 dann in Stuttgart-Zuffenhausen. Die vor 1955 gebauten Fahrzeuge, erkennbar an der zweigeteilten Windschutzscheibe (ab 1952 ohne Mittelsteg, aber immer noch mit Knick) werden als Ur-Modelle, eben: Pre-A bezeichnet. Der Speedster des Pre-A geht auf Anfrage des amerikanischen Importeurs Max Hoffman zurück, der sich für den US-Markt ein ganz simples Basis-Modell wünschte, das er für weniger als 3000 Dollar (umgerechnet damals etwa 12’000 D-Mark) anbieten konnte. Und Porsche konnte liefern, denn man sah schnell ein, dass die USA ein wichtiger Markt werden könnte. Es gab eine niedrigere Frontscheibe, ein voll versenkbares Verdeck, Steckscheiben, sportliche Schalensitze. Als Antrieb diente der 1,5-Liter-Königswellen-Motor, den Dr. Ernst Fuhrmann 1953 konstruiert hatte – und der dem leichten Speedster wunderbare Fahrleistungen bescherte. Zwei Versionen wurden angeboten, einmal mit 55, einmal mit 70 PS.
1954 wurden zuerst einmal 200 Stück über den grossen Teich geschifft. Die Speedster machten Porsche in den USA sofort zur Legende, es gab damals für das gleiche Geld schlicht nichts Besseres – es mussten mehr her, das mit dem Bau beauftragte Karosseriewerk Reutter war komplett ausgelastet. Der gute Ruf strahlte dann zurück nach Europa. Wo die Speedster dann plötzlich auch sehr gefragt waren, weil sie auch auf den Rennstrecken eine gute Figur machten. Wahrscheinlich wurde 1233 dieser Pre-A Speedster gebaut. Schöne Originale sind selten geworden, viele der Fahrzeuge erhielten über die Jahre einen stärkeren Motor. Und das mit dem Dach ist so eine Sache: Am besten lässt man es einfach unten.
Der Pre-A Speedster von Moix war ursprünglich in einem Elfenbein-Ton lackiert (Reutter Farb-Code 504). Weil es diese Farbe aber nicht mehr gibt, liessen Kerti und Moix einen Farbton abmischen, der dem Original so nah ist wie nur möglich. Viel mehr zur Geschichte hat der Walliser bisher nicht eruieren können, er weiss nur, dass der verstorbene Vorbesitzer ihn schon vor mehr als 20 Jahren als Restaurationsobjekt erstanden hatte, doch er hat ja noch Zeit. Und der Zufall wird ihm wieder helfen.
Unterdessen bewegt Moix seinen wunderschönen Speedster fleissig. Nach 3500 gefahrenen Kilometern durfte der Porsche wieder zu Steve Kerti zu einem grossen Service – danach fuhr Moix in diesem Jahr die Mille Miglia, eine der härtesten Veranstaltungen für Klassiker bis zu Baujahr 1957. Selbstverständlich absolvierte der Porsche mit seinem 1,5-Liter-Motor die 1000 Meilen von Brescia nach Rom und wieder zurück nach Brescia klaglos. Auch bei der Le Mans Classic war Moix mit seinem sehr offenen Porsche dabei, bald kommt eine Geschichte über ihn und das Fahrzeug im französischen Fernsehen. Und nein, verkaufen will er ihn nicht.
Obwohl er schon ein neues Projekt hat, für einmal keinen 356, sondern ein 911 S, der neu nach Kalifornien ausgeliefert worden war. Und den sein letzter Besitzer, ein Australier, während der Corona-Zeit in der Schweiz stehen hatte. Weil er ihn nicht nach «down under» transportieren konnte, durfte Moix in die Bresche springen – «ich hatte mir nie erträumt, je einen 911 besitzen zu dürfen». Man darf aber davon ausgehen, dass auch diese gute Stück wieder eine sagenhafte Geschichte abgeben wird.
Mehr Porsche haben wir in unserem Archiv. Diese Geschichte erschien zuerst im Porsche-Kunden-Magazin «Christophorus».
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