Ein kurzer Up-date zur elektrisierten Welt des Automobils
Game-Changer. Ein fürchterliches Wort. So viele Spiele, wie in der jüngsten Vergangenheit vermeintlich gedreht wurden, wurden gar nie angepfiffen. Doch in einer Welt, in der man sich nach Rekorden, Sensationen und Forschungsdurchbrüchen sehnt, darf es eben nichts weniger als weltverändernd, spielentscheidend, heilsbringend sein. Und so hat die Contemporary Amperex Technology Co. Limited, kurz CATL und mit über 80’000 Mitarbeitern einer der absoluten Superstars der Batterie-Branche, auf der hauseigenen Technologiemesse eine Batterie präsentiert, die tatsächlich die Welt der Elektroautomobile verändern könnte.
LFP vs. NMC
Zwei der am häufigsten verwendeten Batterietypen in der Automobilindustrie sind Lithium-Eisenphosphat (LFP) und Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt-Oxid (NMC). Beide haben ihre Vor- und Nachteile, die sie für bestimmte Anwendungen geeignet oder ungeeignet machen. So sind LFP-Batterien im Wesentlichen günstig, da sie keine teuren Rohstoffe beinhalten. Dazu sind sie relativ ungefährlich, da sie weniger zum thermischen Durchgehen neigen als ihre empfindlicheren NMC-Kollegen.
Allerdings gehen diese beiden Eigenschaften Hand in Hand mit geringerer Leistungsfähigkeit. In der Energiedichte liegen sie mit einem Wert um 120 Wattstunden pro Kilogramm nur etwas über der Hälfte moderner NMC811-Zellen, die locker 220 Wh/kg und mehr schaffen. Und auch bei der Ladegeschwindigkeit fallen sie mit oft nur zweistelligen Kilowatt-Zahlen deutlich hinter den Nickel-Kobalt-Zellen ab. Im Gegenzug sind sie durch den geringeren Stress sehr haltbar. Mehrere tausend Ladezyklen sind für einen LFP-Akku kein Problem. Deshalb gibt es klare Anwendungsgebiete für beide Batterietypen: Wo Leistung und Performance gefragt sind, findet man NMC-Akkus. Wo Langlebigkeit und Kosteneffizienz ein Thema sind, setzt man auf LFP. Bis jetzt.
Denn CATL verspricht bisher für unmöglich gehaltene Werte. Die neu Shenxing-LFP-Batterie soll eine Reichweite von 400 Kilometern in nur zehn Minuten nachladen. Das wäre fast so schnell wie das Tanken eines herkömmlichen Verbrennungsmotors. Dabei basiert die Batterie auf der Lithium-Eisenphosphat-Technologie – und ist weit mehr als ein Wunschtraum. Schon Ende 2023 soll die Grossserienfertigung beginnen, das erste Modell schon zu Beginn des kommenden Jahres auf den Strassen rollen
Verpackungskünstler
Die schnelle Ladezeit erklären die CATL-Entwickler durch eine beschleunigte «Extraktion» der Lithiumionen und eine schnelle Einlagerung in das Elektrodenmaterial während des Lade- und Entladevorgangs. Dafür wurde das Design innerhalb der Zelle völlig überarbeitet: geschichtete Elektroden mit mehreren Gradienten, ein neuer Elektrolyt und ein ultradünner Separator ermöglichen mehr Fläche für den Ionenaustausch. Das soll die neue LFP-Zelle aber nicht nur unter Idealbedingungen zu Bestleistungen bringen: Auch bei -10°C soll die 80%-Ladung in dreissig Minuten erledigt sein. Ein Wert, der bislang unerreicht ist.
CATL hat den Daten zu Folge die positiven Eigenschaften der beiden Batterietypen kombiniert – nun könnten einzig der Preis und das Gewicht ein Problem darstellen. Doch schwerer kann die «Shenxing» kaum sein, besteht sie doch aus den gleichen Materialen. Und auch der Preis sollte weiterhin unter den mit exotischen Metallen gefütterten NMC-Zellen liegen. Bleibt der Wahrheitsgehalt über die angekündigten technischen Daten. Doch auch hier sollte man den Batteriespezialisten glauben schenken, zu gross ist ihr Druck gegenüber der Konkurrenz im eigenen Markt. BYD schneidet sich im Moment ein derart grosses Stück aus dem Kuchen, dass es die erfolgsverwöhnten Tüftler von CATL gehörig ärgern dürfte. Eine Blamage wäre da der ganz falsche Weg.
Der heilige Gral?
Dass dieser falsche Weg schnell beschritten ist, zeigte ein Aufmerksamkeitspektakel um einen «Durchbruch» in der Festkörperphysik, der schon nach wenigen Tagen wieder ausgeträumt war.
LK99 sollte nicht weniger als ein Supraleiter bei Raumtemperatur und normalem Atmosphärendruck sein. Damit wäre die Entdeckung vielleicht sogar wichtiger gewesen als die Entdeckung des Penicillins, des Transistors oder der DNA-Struktur. Denn wenn LK99 tatsächlich an die Proklamation seiner Entdecker herangereicht hätte, dann hätte es die Energieübertragung und -speicherung revolutionieren können. Es hätte die Effizienz von Stromnetzen erhöhen, die Entwicklung neuer Technologien ermöglichen und einen grossen Einfluss auf viele Industriezweige haben können, von der Medizin bis zur Raumfahrt. Es wäre ein grosser Schritt in Richtung einer nachhaltigeren und energieeffizienteren Zukunft gewesen.
Doch die Versuchsreihe der Herren Sukbae Lee und Ji-Hoon Kim vom Start-up Quantum Energy Research Centre in Seoul haben nach einigen Wochen des totalen Hypes dem intensiven Peer Review der restlichen Forschungsgemeinde nicht Stand gehalten und scheint nicht das zu sein, was es versprach.
Die Ernüchterung
Sie fragen sich vielleicht, warum das für die Automobilindustrie relevant ist. Nun, ein Supraleiter bei Raumtemperatur hätte die Effizienz von Elektrofahrzeugen dramatisch erhöht. Stellen Sie sich ein Elektroauto vor, das kaum Energie verliert, wenn Strom durch seine Leitungen fliesst. Oder das Ermöglichen von supraleitender magnetischer Energiespeicherung an Stelle konventioneller Batterien. Solche SMES-Systeme nutzen die Fähigkeit von Supraleitern, elektrischen Strom ohne Widerstand zu leiten, um Energie in Form eines magnetischen Feldes zu speichern. Ein SMES besteht aus einer Spule aus supraleitendem Material, die elektrischen Strom speichern kann. Da es keinen Widerstand gibt, kann der Strom theoretisch unbegrenzt in der Spule zirkulieren und Energie speichern. Der Wirkungsgrad beim Speichern und Freisetzen von Energie beträgt bei solchen Systemen nahezu 100 Prozent. Mehr noch, Supraleiter könnten auch Windturbinen effizienter und kostengünstiger machen, ja gar Fusionsreaktoren ermöglichen, die alle unsere Energiesorgen ad acta legen würden. Das klingt nach einem Traum – aber eben einem Traum, der auf den Gesetzen der Festkörperphysik basiert, die mit dem Finden eines Supraleiters bei Raumtemperatur greifbar nah wäre.
Doch selbst wenn LK99 ein Supraleiter gewesen wäre, wäre es keine Allzwecklösung für unsere Energie- und Klimaprobleme. Ein Material muss mehr können als nur supraleitend sein. Es muss auch hinreichend formbar, bestenfalls langlebig und natürlich kosteneffizient sein. Und selbst dann würde es kein Selbstläufer sein, denn man müsste es erst einmal flächendeckend zur Anwendung bekommen. Am Ende steht dann schnell auch der humorlose Buchhalter und verbietet den Einsatz
Das Grosseganze
Das bringt uns zurück zur Automobilindustrie. In einer Welt, die sich immer mehr auf Elektrofahrzeuge verlagert, ist es wichtig, die gesamte Energiekette zu betrachten. Das bedeutet, nicht nur über Batterietechnologie nachzudenken, sondern auch über die Infrastruktur, die diese Fahrzeuge unterstützt. Und das erfordert ein Verständnis für viel mehr als bisher. Es reicht nun von den Materialwissenschaften bis hin zur Festkörperphysik. Und die Geschichte von LK99 ist eine Erinnerung daran, dass es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen gibt. Es ist auch eine Erinnerung daran, dass Wissenschaft und Technologie Hand in Hand gehen müssen, wenn wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen wollen. Für die Automobilindustrie bedeutet das, dass wir uns nicht nur auf die Entwicklung besserer Batterien oder effizienterer Motoren konzentrieren sollten. Wir sollten auch die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Prinzipien verstehen, die diese Technologien ermöglichen – oder eben einschränken. Nur dann können wir wirklich nachhaltige Lösungen für die Zukunft schaffen. Der koreanische Hyundai/Kia-Konzern gehört zu jenen Unternehmen, die das Grosseganze betrachten – und auch kleineren Fortschritten Beachtung verschaffen.
Hyundai schafft Transparenz
Traditionelle Solarzellen basieren hauptsächlich auf Silizium, einem Material, das zwar effizient ist, aber an physikalische Grenzen stösst. Ein Forschungsteam der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien hat jedoch einen neuen Ansatz entwickelt, der Silizium mit Perowskit kombiniert. Diese Tandemsolarzellen haben einen beeindruckenden Wirkungsgrad von 33,2 Prozent erreicht, den höchsten aller Doppelzellen – gute Siliziumzellen bringen es gerade auf knapp über 20 Prozent bislang. Möglich wird das, weil die Perowskitsolarzelle im Tandemstapel direkt auf die Siliziumsolarzelle abgeschieden wird, im Zweierpack werden die auftreffenden Photonen effektiver genutzt. Denn Perowskit hat eine höhere energetische Bandlücke als Silizium. Hochenergetische Photonen werden also von der Perowskit-Halbzelle besser genutzt, während die Siliziumsolarzelle effizienter bei der Nutzung von niederenergetischen Photonen ist.
Doch während Rekordwerte in der hermetischen Abgeschiedenheit des Laborversuchs das eine sind, ist die praktische Anwendung einer Technologie etwas völlig anderes. Und so lockend die Zahlen der Tandemzelle auch sein mögen, die Perowskit-Zellen haben in der Soloanwendung einen ganz anderen Vorteil: Sie sind durchsichtig. Aktuell, so bestätigt es Hyundai, habe man um zehn Prozent Effizienz bei den Durchsicht-Zellen. Diese Zellen könnten getönte Scheiben ersetzen und gleichzeitig Strom für den Antrieb erzeugen. Bis 2030 will man sie zur Grossserienreife entwickelt haben.
Weitere Herausforderungen
Neben der Energieerzeugung arbeitet Hyundai auch an anderen Anwendungen der Nanotechnologie, wie einer Beschichtung für Scheiben, die die Innenraumtemperatur senken kann, oder Sensoren aus Kohlenstoffnanoröhren, die die Sitzheizung effizienter steuern können. Dieser Entwicklungsfokus mag überraschen, doch er verfolgt im Prinzip das gleiche Ziel: Er soll Autos effizienter, sicherer und langlebiger machen. Ob selbstheilende Polymere auf Lackoberflächen, oder Ölkapseln, die im Bedarfsfall reibungsmindernde Partikel an den entsprechenden Schmierstellen deponieren können, die Lebensdauer der Komponenten verlängern können – echter Fortschritt zeigt sich in solchen Details. Und nicht in aufwändig inszenierten Begrüssungsszenarien der LED-Matrix-Lichter.
Kleinigkeiten – oder mehr?
Etwas haben wir noch. Man könnte auch meinen: Kleinigkeiten. Doch es ist halt viel mehr, es geht da auch um Lieferketten und Abhängigkeiten, Ressourcen. Also: Zulieferer ZF hat dieser Tage einen neuen E-Motor für Elektroautos angekündigt. Es handelt sich um einen fremderregten Synchronmotor, bei dem das Magnetfeld kontaktlos über einen induktiven Erreger innerhalb der Rotorwelle übertragen wird. Im Vergleich zu gängigen fremderregten Motoren mit Bürsten- oder Schleifkontakten sollen die Übertragungsverluste um 15 Prozent geringer ausfallen. Darüber hinaus verspricht das Unternehmen aus Friedrichshafen ein besonders kompaktes Design. Und, ganz wichtig: Fremderregte Synchronmotoren (FSM) benötigen anders als ihre permanenterregten Verwandten (PSM) keine Permanentmagneten und enthalten somit keine Seltenen Erden. Allerdings galten sie bislang als weniger effizient als die PSM-Motoren, die sich aus diesem Grund zum aktuellen Standardantrieb in den meisten E-Autos und Plug-in-Hybride entwickelt haben. Zu den wenigen Herstellern, die zurzeit FSM-Antriebe nutzen, zählen Renault und BMW. Allerdings dürften aufgrund des geringeren Bedarfs an kritischen Rohstoffen, eben jenen Seltenen Erden, bald andere Autobauer folgen. Der FSM von ZF soll nun zur Serienreife entwickelt werden und künftig in Verbindung mit 400- sowie 800-Volt-Systemen eingesetzt werden.
Großartiger Artikel, vielen Dank!
Wegen sachkundigen Beiträgen wie diesem schaue ich immer wieder gerne hier vorbei.
Schöner Artikel! Interessant hierbei: mit der einzige Hersteller genannter Perowskit-Solarzellen kommt aus Breslau (Polen). Auch Amprius‘ Silicon Nanowire Batterien sind eine (scheinbar legitime) Form der neuen Batteriechemien. Gepaart mit einem effizienten Auto (z.B. Aptera) kann das richtig Spass machen