Fliegender Ziegelstein
Der Volvo 240 wurde im August 1974 als Nachfolger und Weiterentwicklung der beliebten Volvo 140er Reihe vorgestellt. Das Mittelklassemodell wartete mit zahlreichen innovativen Techniklösungen auf, insbesondere im Bereich Sicherheit. Optisch ähnelte das neue Modell stark dem Konzeptfahrzeug VESC, das Volvo zwei Jahre zuvor präsentiert hatte: die grossen Stossfänger verliehen dem Volvo 240 seinen charakteristischen, nach vorn stehenden «Unterkiefer». Doch während die Sicherheitsvorteile unstrittig waren, stiess das Design auf wenig Gegenliebe. Es galt als langweilig und zu kantig.
Wie schon bei der Volvo 140er Familie einige Jahre zuvor, wurden der Limousine Volvo 240, wahlweise mit zwei oder vier Türen, zwei weitere Varianten zur Seite gestellt: der Volvo 260 als die luxuriösere Version der Limousine mit Sechszylinder-Motor und der Kombi, das Meisterstück von Volvo. Der Volvo 245 entwickelte sich zum Kombi schlechthin. Das vielseitige Auto schluckte viel Gepäck, ohne Komfort und Fahrfreude zu beeinträchtigen. Es bot darüber hinaus die zur damaligen Zeit höchsten Sicherheitsstandards in der Automobilindustrie. In einer Reihe von Crashtests mit den Volvo 240er Modellen und Wettbewerbern stellte die US-Sicherheitsbehörde NHTSA fest, dass der Volvo 244 mit Abstand den besten Insassenschutz bietet. Die Ergebnisse dienten als Basis für die späteren US-Sicherheitsvorschriften, die festlegten, welche Standards in den USA verkaufte Autos erfüllen müssen.
Volvo arbeitete derweil schon intensiv an der Abgasreinigung mittels eines Oxidationskatalysators, der die drei schädlichen Substanzen Kohlenwasserstoff (HC), Kohlenmonoxid (CO) und Stickoxide (NOX) deutlich reduzieren soll. Um die Abgasreinigung durch Steuerung des Kraftstoff-Luft-Gemisches weiter zu verbessern, setzte Volvo im Jahr 1976 als erster Automobilhersteller die Lambdasonde ein. Mit diesem kleinen Meisterstück der Ingenieurskunst konnte der Katalysator mehr als 90 Prozent dieser schädlichen Emissionen eliminieren. Ein Jahr später führte der Bundesstaat Kalifornien die strengsten Emissionsgrenzwerte der Welt ein. Die Volvo Modelle mit Drei-Wege-Katalysator und Lambdasonde unterschritten diese Grenzwerte deutlich. Die Stickoxidemissionen waren sogar so niedrig, dass die damalige US-Regierung um Präsident James Earl «Jimmy» Carter Volvo für seine Pionierarbeit auszeichnete. In Deutschland bot Volvo ab dem Modelljahr 1986 als einer der ersten Hersteller serienmässig einen Drei-Wege-Katalysator an.
Der Volvo 240 war der Konkurrenz in puncto Sicherheit und Umweltschutz stets einen Schritt voraus und wurde über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt. Neue Techniken hielten Einzug in den beliebten Schweden: Turboaufladung und Dieselmotoren zum Beispiel wurden früh präsentiert. Im Jahr 1979 wurde der Volvo 244 D6 als erster Diesel-Pkw von Volvo eingeführt. Der in Zusammenarbeit mit VW entwickelte Motor war zugleich der weltweit erste Sechszylinder-Diesel in einem Pkw.
Der Ruf, ein langweiliges Auto zu sein, verschwand endgültig, als der Volvo 245 zum weltweit schnellsten Kombi mutierte: Dank Turboaufladung und 154 PS sowie Beschleunigungswerten von 8,9 Sekunden konnte kein Konkurrent mithalten. Auch für den Zweitürer Volvo 242 ging es in den 1980er Jahren sportlich zu. Der «Flying Break» sorgte auf Europas Rennstrecken für Furore und holte zwei Meistertitel. So gewann das Fahrzeug mit den beiden Piloten Gianfranco Brancatelli und Thomas Lindström 1985 die Europäische Tourenwagen Meisterschaft. Ebenfalls 1985 fuhr Per Stureson am Steuer des Volvo 240 Turbo die Fahrerwertung der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft (DTM) ein. Erst 1983, im nunmehr zehnten Produktionsjahr, erlebte die 240er Baureihe ihr Allzeithoch mit einem Absatz von 234’300 Einheiten – und dies trotz der neuen Konkurrenz durch den Volvo 760.
Zum Ende seines Lebenszyklus wurde der Volvo 240 ausschliesslich als fünftüriger Kombi angeboten – und erlebte in Europa eine wahre Renaissance. Dies galt insbesondere für Italien, wo der Volvo 240 Polar das angesagteste Fahrzeug unter jungen Menschen war und Kultstatus erreichte. Die Volvo 240er Familie wurde inzwischen von einer eigenen Gesellschaft im Unternehmen, der 240-bolaget, verantwortet. Am 5. Mai 1993 war jedoch Schluss: Nach 19 sehr erfolgreichen Jahren mit mehr als 2,86 Millionen verkauften Fahrzeugen, darunter 177.402 Volvo 260, endete die Produktion nahezu zeitgleich mit der Ära des Volvo Vorstandsvorsitzenden Pehr Gyllenhammar. Der Schwede war einer der grössten Fans des Volvo 240 und fuhr verschiedene Modelle, einige davon waren wahre Exoten. Der allerletzte Volvo 240 war so einer: eine kürzere Version, die als Dankeschön für die Leistungen der gesamten 240er Mannschaft produziert wurde. In Kundenhand übergeben wurde der letzte Volvo 245 unter dem Motto «Der letzte 240 und der beste» im Rahmen einer kleinen Zeremonie von Pehr Gyllenhammar persönlich an seine schwedische Besitzerin. Im letzten vollständigen Verkaufsjahr wurden allein in Deutschland immer noch 2.860 Volvo 240 Kombi verkauft.
Bis heute sind noch zahlreiche Volvo 240 auf den Strassen der ganzen Welt unterwegs – sie sind alle schon Oldtimer, aber immer noch treue Begleiter wie zu ihrer besten Zeit.
Mehr Volvo gibt es im Archiv.
[…] Mehr Volvo gibt es in unserem Archiv. Dort gibt es zum Beispiel auch den klassischen 240er. […]
Hi,
der 242 war als „Flying Brick“ auf den Rennstrecken berüchtigt.
Als „Break“ haben die französischen Automobilhersteller gerne ihre Kombis bezeichnet.
Gruß
Hannes
Schon witzig, da versuchen die ganz Hersteller seit Jahrzehnten möglichst emotionale Fahrzeuge zu erzeugen, deren Nimbus hoffentlich auf die Brot und Butter Modelle abstrahlt. Erfolg hat das selten. Volvo dagegen macht aus einem nicht gerade innovativen Entwurf der 60er einen komplett designlosen Schuhkarton, nicht mal der Karosserieform angepasste Fondtüren hat man dem Kombi gegönnt. Dazu eine Starrachse und als Antrieb einen anspruchslosen Gussklumpen, der sich am besten als Bootsantrieb macht. Und was passiert, die ganze Welt liebt die Kiste. Nicht einmal der nach dem selben Rezept gebaute Nachfolger kam dagegen an und musste sich den Markt mit diesem Oldtimer teilen.
Vielleicht sollte sich mancher in der Branche solche Geschichten zu Herzen nehmen. Aktuell bleibt für Fans unprätentiöser Fortbewegung höchstens ein Dacia.
Again what learned.
Als Flying Brick kannte ich bisher nur die ersten BMW K Motorradmodelle, mit liegend längs eingebautem 3- oder 4-Zylinder. Ebenso legendär und unzerstörbar wie der Volvo.
1985 wollte ich einen 245 kaufen, schwarz mit grünen Scheiben und Automatik sowie Servolenkung. Damals hatte er 115 PS.
Die Probefahrt hat´s dann versaut. Er fuhr sehr gut, nur auf der Autobahn ist er bei Tacho 165 wie an eine Wand gelaufen. Und ich war jung und wild.
Der mit dem gleichen Motor gefahrene 740 lief immerhin 180, aber der war deutlich teurer.
Der Saab 900 Sedan ließ sich kaum schalten, fuhr sich seltsam, sonst fand ich auch ihn phantastisch. Der BMW 316 (E30) verhungerte dann ebenfalls auf der Autobahn und dann wurde es ein Golf 2 GTI.
Wenn man heute einen 245 sucht, dann haben die mindestens 300.000 auf dem Zähler, oft keine Servo und fast nie eine Klimaanlage. Sehr schade.
Ich finde ihn immer noch toll und heute ärgert es mich, dass ich ihn damals nicht genommen habe. Später ist man immer schlauer.
Dann hat er schon länger nicht geschaut, bei mobile gibt es diverse mit deutlich weniger Fahrpraxis. Vielleicht reichen ja heute 165 km/h 😉
85 % aller Volvo-240 fahren immer noch!
Lol.
ZU meiner Studentenzeit in Schweden, Finnland, war des Winters der
Volvo-240. Tante bretzt da mit dem mit +-150 über die harten Eisstraße, durch
den ewigen Winterwald. ( Die war da 70+) relaxed.
Zuerst war ich etwas fertig. Dann hab ich es auch gelernt, und man hat es
dann in den Genen. Arrivattanen Faktor.
Mein Volvo-240 late war da schon die 7te Vorbesitzer Iteration die, aufgewertet
mit Turbolader ( aus Volvo Klein Lkw) die 120 Ps halten konnte, und wenn es außen
minus 20 hatte, innen plus 30, Karibik.
Dazu noch der alte Top Gear burner einen SAAB aus dem 4 ten Stock werfen.
ganz.
der Bmwehh davor..tot.
Es war eine geile Zeit. danke für den Bericht. mehr davon. Fred 🙂
Another Brick in the Wall – von dem Nimbus lebt Volvo heute noch! Als ich jung war, fand ich das Design nicht „so prickeld“, war aber ehrfürchtig vor der Robustheit und der Langlebeigkeit dieses „Ziegelsteins“ (Damals rostete der Alfasud im Prospekt, der Mercedes heute auch, nur der Volvo rostet nicht) – Spässle. Na ja, heute fahre ich auch Volvo, als Kombi – was soll ich sagen, ich kann`s heute verstehen. Aber wahrscheinlich bin ein Spiesser geworden….
Trotzdem, tolle Berichte vom Volvo und vom Renault 16. Danke Herr Ruch!