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radical zero: Fahrbericht Polestar 3 und 4

Klumpfüsse

Polestar, drücken wir es einmal gemässigt aus, geht es nicht so gut. Die Geely-Tochter muss seit kurzem auf eigenen Beinen stehen, ist an der Börse und wird folglich genauer beobachtet. Die einstige Amme Volvo hat sich schon länger verabschiedet, der bisherige Chef Thomas Ingenlath wurde kürzlich flott ebendies, der neue CEO heisst Michael Lohscheller. Nun, ob das eine glückliche Entscheidung war, muss sich noch weisen, bei seinen letzten Jobs bekleckerte sich der ehemalige Opel-Lenker nicht gerade mit Ruhm. Und er hinkt nun mit zwei Klumpfüssen in seine Zukunft, den Polestar 3 und 4. Denn diese beiden Ingenlath-Krücken sind vorerst alles, was er hat.

Der Polestar 1 war schräg, aber irgendwie cool; er hat das Zeug zum «future classic». Der Zweier war dann ein geplätteter Volvo und ist verantwortlich für die desaströsen Zahlen der chinesischen Schweden. Der neue 3er ist nun, tja, noch ein grosses, schweres, teures E-Fahrzeug, davon gibt es nun wahrlich schon reichlich – und mit dem EX90 aus dem gleichen Haus hat er einen Konkurrenten, den er wohl nicht packen kann. Beide basieren sie SPA 2, also eigentlich einer Verbrenner-Plattform, denn der Volvo XC90 hat das gleiche Fundament. Das bedeutet dann in der flottesten Version 518 PS und stolze 910 Nm maximales Drehmoment, in 4,7 Sekunden von 0 auf 100. Die Energie zieht der Polestar 3 aus einer 107-kWh-Batterie, damit sollen sich mit dem 2,2-Tonner 561 Kilometer Reichweite ausgehen. Spannend wird es bei der Ladegeschwindigkeit: Wir haben hier eine für das Premium-Segment eher klägliche 400-V-Architektur, die aber maximal 250 kW von der Säule ziehen will. Bloss sind etwa 102 Prozent der europäischen Schnelllader mit 500 Ampere abgesichert, also 400 V mal 500 A gleich 200 kW. Wir können zwar rechnen, aber wir kennen diesen Trick noch nicht; andererseits glauben wir halt auch nicht alles, was auf dem Papier steht.

Es ist ein komisches Automobil, dieser Polestar 3. Gut, alle SUV-Coupé sind komisch, der 3er ist 4,9 Meter lang und 1,61 hoch, fällt dann gegen hinten ab, es bleiben drei Meter Radstand, für die hinteren Passagiere relativ wenig Kopffreiheit und 597 Liter Kofferraum-Volumen (maximal 1411 Liter), was jetzt auch nicht wirklich begeisternd ist; ein Fahrrad, wie es der Hipster gerne mit sich hat, geht da nicht rein. Und zwei erst recht nicht. Was ja dann irgendwie logisch ist, wenn eines schon nicht reinpasst. Er fährt wie alle andern grossen, schweren, teuren E-SUV: angenehm ruhig, grob im Antritt, träg in der Kurve, der Komfort steht an erster Stelle. Auch innen ist alles wie immer, riesiges Tablet in der Mitte, Android-Bedienungssystem, das ist alles gut und recht, doch halt irgendwie auch nichts, was für Unterschiede sorgen könnte. Wie auch immer, wir sehen jetzt die Kundschaft für den Polestar 3, welche die Marke aus der Misere ziehen könnte, irgendwie nicht.

Was uns sehr direkt zum Polestar 4 führt, dem wohl unnötigsten Automobil seit dem BMW X6. Aber da muss ich etwas vorausschicken: Ich kann das nicht mit diese elektronischen Rückspiegel, meine betagten Augen schaffen den schnellen Wechsel von weit auf nah nicht mehr – es wird mir buchstäblich schlecht, mein Magen kommt in Aufruhr. Ich weiss nicht, was es ist, wie das kommt, aber ich muss den Rückspiegel nach zwei Minuten ausschalten, sonst passiert ein Unglück. Wie ich so höre aus Gesprächen mit Kollegen, bin ich nicht der einzige mit diesem Problem; es geht mit übrigens mit den elektronischen Seitenspiegeln nicht viel besser. Nun braucht man aber im Polestar 4 diesen digitalen Begleiter, ein normaler Rückspiegel geht nicht, denn der 4er hat keine Heckscheibe. Gut, ein Sattelschlepper hat auch keinen Rückspiegel, beim Ford Transit mit geschlossenem Laderaum fehlt er ebenfalls, die Alpine A110R (Fahrbericht folgt) muss auch verzichten. Doch beim Polestar 4 ist es einfach ein Designer-Furz, Auffallen um jeden Preis, ein Alleinstellungsmerkmal basteln, das nun beim besten Willen rein gar nichts bringt. Wie sagte doch Bill Bernbach, einer der klügsten Werber überhaupt, so richtig: «You are not right if in your ad you stand a man on his head just to get attention. You are right if you have him on his head to show how your product keeps things from falling out of his pockets». Keine Heckscheibe macht keinen Sinn, denn die Rundumsicht ist tatsächlich besch-eiden.

Es ergibt dieses Fahrzeug überhaupt wenig Sinn. Der 4er ist gerade einmal sechs Zentimeter kürzer als der 3er, also ein weiteres grosses, schweres, teures E-SUV. Er ist noch einmal stolze acht Zentimeter flacher, was in erster Linie bedeutet, dass er noch weniger Platz bietet, das Kofferraumvolumen beläuft sich von 526 bis 1536 Liter. Will man den ganzen Platz nutzen, muss zuerst eine Plastikverkleidung rausgefummelt werden, doch auch dann wird man kein Fahrrad reinkriegen, die Innenraumhöhe ist zu gering; mit meinen 1,89 Meter möchte ich hinten, auf einer zudem leicht erhöhten Rückbank, nicht über längere Strecken sitzen müssen, zumal es dort auch ziemlich dunkel ist. Praktischer Nutzen findet hier irgendwie nicht statt. Warum aber sollte jemand ein derart unpraktisches Fahrzeug kaufen wollen? Aus Trotz?

Innen wurde beim Polestar 4 erstmals umgebaut, das riesige Tablet steht nun quer. Dafür steht die Mittelkonsole viel höher, vorne ist es ein Zweierabteil, Pilotin und Beifahrer haben ihre eigenen Boxen. Die Bedienung ist relativ klar, auch wenn man jetzt etwa die Aussenspiegel über den Touchscreen einstellen muss. Und es gibt allerlei Ambientelicht, bezeichnet mit Namen von Planeten – und mit Sternchen im Dachhimmel, toll. Zwar basiert der 4er auch auf SPA 2, doch seine Batterie ist mit 100 kWh Kapazität etwas kleiner als im 3er, dafür gibt es mit maximal 544 PS mehr Leistung. Und erstaunlicherweise viel weniger Drehmoment, nur noch 686 Nm (zur Erinnerung: im gröbsten Polestar sind es 910 Nm), verstehe das, wer kann. Auch der Polestar 4 fährt sich wie ein grosses, schweres, teures E-Auto, schön ruhig und komfortabel, aber ganz weit weg von sportlich. Denn seine Ursprünge hat Polestar längst beerdigt, bloss weiss man irgendwie nicht so recht, was denn nun kommen soll. Und wo ganz genau die Position im Geely-Konzern sein könnte, denn da gibt es ja neben Lotus und Volvo auch noch Smart und vor allem Zeekr. Der Lohscheller ist nicht zu beneiden um seinen Job – oder handelt es sich schon um eine Abwicklung?

(Ja, wir müssen uns das jetzt selber eingestehen: Das ist nicht wirklich ein Fahrbericht. Wir würden ja gern, aber nach einmal Durchtreten und die E-Power fühlen, da hat man das gesehen, gespürt. Und nach der ersten etwas flotter gefahrenen Kurve ist klar, dass sich auch dieses E-Dings nicht anders verhält als die anderen E-Dings, sie ertragen relativ viel (tiefer Schwerpunkt), aber irgendeine Form von Fahrfreud‘ ist da nicht. Und es ist sowieso immer gleich, zu gross, zu schwer, ewig langer Radstand; Agilität kommt da beim besten Willen nicht auf, kann gar nicht. Das Hauptaugenmerk kann also nicht auf dem Fahrerlebnis liegen, sondern mehr so auf Komfort, Bedienerfreundlichkeit, Reichweite, tatsächlichem Verbrauch, Platzverhältnissen – wir suchen noch nach einer neuen Benamsung, Vorschläge?)

Wir fuhren die beiden Polestar im Rahmen einer Veranstaltung von CarDesignEvent im Nationalen Automuseum«The Loh Collection». Mehr Strom? zero. Alles andere: Archiv.

7 Kommentare

  1. Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band

    Dann doch lieber einen Miura zum halben Gewicht dieses SmartZone Sensor clusters (mein Vorschlag für die Benamsung).

    • Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band

      Aus Rücksicht auf die jugendlichen Leser möchte ich mich zur Farbe der Gurte lieber nicht äußern, but…
      Always keep your distance and always wear a mask.

  2. Warum wollen alle immer Fahrräder mitschleppen? Meine Autos bringen mich ans Ziel und haben keine Panne….

  3. Max Max

    Ich durfte im Italien-Urlaub einen Polestar 2 über die Amalfiküste heizen.. (Hertz machte ein Angebot dass ich nicht ablehen konnte, der Obolus war 150 Euro weniger als für einen Fiat 500 in der adipösen Variante, wohl mangels Nachfrage.) Die Familie war entsetzt und fürchtete Ladechaos. Hat sich nur ein wenig bestätigt 😉

    Aber meist weil nur 11 KWh zur Verfügung standen, und dort auch noch Verbrenner drauf parkten, An geeigneten Säulen lädt der PS2 sehr flott, Die Gesamtreichweite ist mit 250 km aber doch beschränkt. Ist ja auch schon 5 Jahre auf dem Markt.

    Insgesamt fuhr sich der Wagen sehr angenehm, wie erwartet volvoesk, die Benutzeroberfläche funkt hervorragend. Die Kiddies im Fond waren letztlich dann doch angetan als sie den Fiat-Alternative gezeigt bekamen.

    Falls jemand nach Rom möchte kann ich elektrisch nur empfehlen, man darf im Gegensatz zu Verbrennern in alle Teile der Stadt fahren.

  4. Arnim Arnim

    ‚… dem wohl unnötigsten Automobil seit dem BMW X6‘ ???? Danke dafür ????

    • Peter Ruch Peter Ruch

      vielleicht schon aufgefallen: wir mögen ihn hier nicht so sehr, den X6.

  5. Rolf Rolf

    Keine Heckscheibe ….. logische Fortsetzung der schwarzen Heck- und Seitenscheiben, die beim Einparken ab Dämmerung eine Rücksicht so gut wie unmöglich machen und daher – zur großen Freude von Hersteller und auch Ausstattungsfetischisten – eine Rückfahrkamera notwendig machen.

    Vielleicht ist es aber auch schon eine Vorbereitung auf autonomes Fahren ….. ???
    Polestar 5 ohne Frontscheibe, dafür mit 100 Zoll Monitor vorn?

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