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Quo vadis, Stellantis?

Die Zeit nach Tavares

An einem eisigen Winterabend im Februar 2014 traf ich Carlos Tavares in einem schlichten Sitzungszimmer in einem Zürcher Hotel. Wir kannten uns schon aus seiner Zeit bei Renault, er war da beim Termin in Zürich erst seit kurzem Chef der PSA-Gruppe, es wurde auch kein Interview, dafür legte er in seinem unnachahmlichen Stil sehr detailliert dar, wie er den französischen Konzern umbauen wollte, redete viel mit den Händen, stand immer wieder auf, zeichnete etwas auf einen Flipchart, erklärte das Delta von irgendwas und die Synergien hier und auch dort. Er sprach Englisch und Spanisch und Französisch, ich verstand auch nicht alles, doch die Energie, die der 1958 geborene Portugiese ausstrahlte, war beeindruckend, genau wie seine Ideen. In den nächsten Jahren traf ich Tavares immer wieder, wie Ferdinand Piëch besass er ein ausgezeichnetes Personengedächtnis, grüsste auch beim Vorbeigehen auf Messen, plauderte ein paar Worte auf Präsentationen. Für mich war Tavares immer nicht nur einer der letzten verbliebenen grossen Unternehmenslenker, sondern eine spannende Persönlichkeit, ein sehr interessanter Mensch.

Seit dem 1. Dezember ist er weg, wahrscheinlich hat ihn die italienische Hausmacht im Stellantis-Konzern weggespült. Selbstverständlich kriechen jetzt allerorten die Besserwisser aus ihren Löchern, zeigen mit ausgestrecktem Mittelfinger auf Fehler, die Tavares gemacht haben soll, erklären der Welt, was er unbedingt anders hätte machen müssen (eigentlich: alles), wieso das alles sowieso nie hat funktionieren können. Nun, das sehe ich etwas anders. Erstens sind die Verdienste von Tavares für Stellantis gewaltig. Ohne seine Rechenkünste (der Portugiese kann Kopfrechnen wie ein Computer), seinen gesamtheitlichen Blick in die Branche und auf die Entwicklungen in der Auto-Industrie, seine Durchsetzungskraft, auch seine Liebe zum Automobil per se, ohne seine Visionen wäre ein Gebilde wie Stellantis gar nicht möglich gewesen. Und ohne Stellantis würde es den italienischen Anteil am Konzern, also FCA, wohl gar nicht mehr geben.

Wenn man Tavares etwas vorwerfen kann, dann vielleicht, dass er zu wenig Talent anziehen, nachziehen konnte. Er umgab sich lieber mit seinen alten Kampfgefährten, die mit ihm in den letzten zehn Jahren alterten, den Blick auf einen weiteren Horizont nicht offen hatten. Für die nächsten paar Jahre scheint Stellantis trotzdem noch ziemlich gut vorbereitet, die neuen Plattformen, die sowohl rein elektrisch wie auch Verbrenner können, mögen zwar technisch nicht wirklich grossartig sein, doch Peugeot und Co. sind damit eigentlich gut gerüstet, der Konzern kann einigermassen flexibel reagieren auf die Nachfrage im Markt, hier mehr Stromer, dort weniger Benziner, da hat Tavares dem Konzern die gleiche Strategie verordnet wie BMW. Und BMW gilt als ja als gut aufgestellt für die Zukunft. Wenn ab 2025, also in zwei Wochen, in Europa die neuen Flottenverbräuche gelten, dann hat es Stellantis selber in der Hand, wie man auf die Kundenbedürfnisse reagieren will. Gutes Beispiel: In Grossbritannien kostet der neue Vauxhall Frontera als Stromer nun genau gleich viel wie der Benziner, der bisherige Aufpreis von rund 5000 Euro fällt weg. Ob da noch Marge bleibt, keine Ahnung, aber es scheint machbar.

Derzeit macht es den Eindruck, als ob die Italiener die Macht übernommen hätten bei Stellantis, Agnelli-Enkel John Elkann reitet als Retter durch die ehemaligen FCA-Fabriken, verspricht Maserati das 706. Comeback, schwafelt von der grossartigen Wiederauferstehung von Fiat, will Dodge den V8 erhalten. Bloss: die Italiener haben in den vergangenen vier Stellantis-Jahren keinen Fuss auf den Boden gebracht – und das war wohl eher nicht die Schuld von Tavares, er geizte ja nicht mit interner Kritik (die dann gegen aussen getragen und gegen ihn verwendet wurde). Mal schauen, wen der Stellantis-Vorstand jetzt aus dem Hut zaubert, vielleicht mal wieder einen Marlboro-Mann.

Andere Meinungen haben wir auch immer im Archiv.

9 Kommentare

  1. Carmelo Carmelo

    Ich schätze Ihre Artikel schon sehr. Aber ganz objektiv scheint mir dieser Artikel nicht. Fakt ist, dass Stellantis nur in die französischen Marken gut und viel investiert hat, aber für die restlichen Marken Produkte auf den Markt gebracht hat, die nicht wirklich jemand will. Als Beispiel Alfa Romeo, anscheinend ist noch nie ein Alfa auf den Markt gekommen, der so wenig anklang gefunden hat wie der Junior (ähm Milano made in Polen).
    Vermutlich wäre ein Marlboro Mann gar nicht so schlecht, trotz verboten und Steuern sehe ich noch viele Menschen rumlaufen mit einem Glimmelstengel von Marlbor. Aber Danke für den Bericht. ????

  2. Walter Walter

    Leider muss ich ihnen widersprechen, Herr Tavares mag wohl ein guter Buchhalter sein aber er ist auf keinen Fall ein car guy, was in der Autobranche ein erfolgreicher „Unternehmenslenker“ unbedingt braucht
    Er führte Stellantis wie eine x-beliebige Firma, immer bedacht, für die Aktionäre kurzfristig gute Renditen zu erzielen.
    Sie sprechen auch nicht davon, wie viele Arbeitsplätze er zerstört hat, wie viele Zulieferer er vernichtete und wie er die „Seelen“ der Marken er aushöhlte. Er kam mir vor, wie die GM in den 80-er Jahren, als sie diverse Modelle als Pontiac, Buick, Oldsmobile und Chevrolet verkauften und am Schluss auf die Nase fielen.
    Er hinterlässt eine Firma mit sehr schlechten Teileverfügbarkeiten und Händlern welche der Stellantis den Rücken zukehren, etc. da nach Herrn Tavares nur Stellantis Geld verdienen darf. Von den Rückläufigen Verkaufszahlen sprechen wir gar nicht.
    Das Problem der verschiedenen Kulturen in Stellantis, von Frankreich, Deutschland, Italien und auch den USA hatte er unterschätzt, schon Sergio Marchionne sagte voraus, dass die Zusammenarbeit von Franzosen (Peugeot, etc.) und den Italienern (Fiat, Alfa, etc.) nie funktionieren wird.
    Hut ab, welcher Marlboro Mann diesen riesigen Tanker wieder auf Kurs bringen darf.

    • Peter Ruch Peter Ruch

      nunja, das seh ich anders. wer hat es besser gemacht?

      • Carmelo Carmelo

        Sergio Marchionne natürlich… klar waren andere Zeiten, aber er hat es geschafft einen in Italien produzierten Jeep in den USA zu verkaufen. Er hat es geschafft Alfa wiederzubeleben und hatte noch viel vor für die Marke. Leider viel zu früh verstorben.
        Aber einen Peugeot 208 als Lancia y zu verkaufen ist nicht wirklich das Wiederbeleben von Lancia.
        Aber Danke, dass Sie mich zum Nachdenken bringen mit Ihren Artikeln 🙂

        • Peter Ruch Peter Ruch

          Bei Marchionne werden wir uns auf jeden Fall einig. Doch auch er war ein Finanzer, seine grössten Coups waren die Trennung von GM, die viel Geld brachte – und die Übernahme von Chrysler für ein Butterbrot. Und Marchionne hatte im Gegensatz zu Tavares die grosse Gabe, Talent zu fördern.
          Lancia ist eine Tristesse, das wollen wir lieber nicht vertiefen.

    • Peter Ruch Peter Ruch

      noch einmal zum «car guy», der Tavares Ihrer Ansicht nicht war. Nennen Sie mir einen aktuellen Chef eines Auto-Herstellers, der auf der Nordschleife schneller war/ist als der Portugiese.

  3. Walter Walter

    …meiner Meinung nach geht es bei einem „car guy“ nicht um das schnelle Autofahren, er fuhr ja auch Historische Rennen, sondern um die ganze Lebens-Einstellung zum Auto, Auto-Gewerbe etc.
    Für mich war zum Beispiel ein Lee Iacocca ein „car guy“
    Damit man auf der Nordschleife schnell ist, braucht man vor allem Ehrgeiz, Disziplin und Können.

    • Christian Christian

      …und das richtig hergerichtete Auto…

      Aber tatsächlich – es gibt scheinbar in keinem Unternehmen mehr diese „Vollgas-ich brennfürmeinProdukt-Typen“.

      Vor lauter CI, CEO, Mainstream, Political Corretness, Meetoo, Gender, Overcrossmodelle, Nischenwachstum, E-Mobility und weitere Schwachsinnitäten und Nebenkriegsschauplätzen haben die alle vergessen – wer kauft meinen Krempel den ich produziere und wieviel seines sauer verdienten Geldes ist er bereit, dafür zu zahlen.
      Nein, ich fahre nicht jeden Tag auf der Nordschleife. Daher ist es mir auch wurscht, wer da am schnellsten ist.
      Was ist das Problem mit Lancia? Gestern schwelgten mein Mechaniker und ich in Erinnerungen über den Thema 2.0 16V Turbo und unsere Erlebnisse damit. Und mit seinem Sohn hatte ich eine tolle Oldtimerallye im Sommer mit seinem Fulvia Coupe.
      Alles gut, tolle Marke, aber die „umgelabelten“ Möhren von heute sind eine Beleidigung für diese Marke!
      Aber wir haben ja die Originale, und erfreuen uns daran und darin!
      Die Proll-Schlitten mit „Nordschleifenprädikat“ werden leider nie in diese Sphären vorstossen – und auch nicht der Herr T. oder der „armselige“ Herr W. von VW oder der „spätgeständige“ Herr St. von Horch…

  4. Andreas Zigg Andreas Zigg

    WAS IST ÜBERHAUPT EIN CAR GUY?

    Und obiger Renter über mir labern.
    Wegen dem sinnlosen Hype, haben alle Autofirmen die eh nicht und gar nicht,
    NICHT
    FERRARI PORSCHE LAMBORGHINI MC LAREN LOTUS.. und ein paar, sind,
    angefangen
    ihre FETT TÖPFE mit dem Label NORDSCHLEIFE zu versehen.
    Da eiert dann ein aufgepumpter E, Benzin, Diesel KLEIN LKW ( SUV)
    mit ach so viel LEISTUNG und DREHMOMENT um den KURS.
    Die Karre hat nichts mit dem Serienmodell zu tun und so weiter.

    Ich schaffe dort mit schwach gepimpten Porsche 912er ( 2liter 140ps zu 890 Kilo)
    auf harmlosen 16 zoll- 205er mit etwas Bilstein und Brembo, den Kurs nur 25 Sec
    hinter dem 3 tausend Kilo SPORT SUPER Ungetüm Vau von Bemweh und co zu
    folgen. ( dort 500Ps und plus, aber 2700kilo steigend= sportlich oder?)
    Setze ich mich in den Alfa GTV 3.2 156 etwas weniger Zeitverlust.
    Mit dem Lancia Delta Integrale ( 230ps) mit leerem Magen ( der Wagen ist pur = 1100kg) nur noch 10 Sec. 10 sec in einem 1990er Auto!

    2025 kommt. DAS AUTO IST DEFINITIV TOT.
    Lang lebe das ( wieder leistbare) Auto ( das auch ohne Augenkrampf an zu sehen ist)

    Und der R5 von Renault ist DER EINZIGE COOLE NEUE WAGEN IM KONZERN
    und überhaupt. Und wenn man guckt, der 70kw 2 Türer wird nur 1070 Kilo wiegen.
    Oder nimmst den 100kw mit 200 Kilo mehr?

    Schöne Weihnachten 🙂

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