Immer wieder von vorn
Der grossartige, so wunderbar schräge Virgil Exner, der das Chrysler-Design in den 50er Jahren geprägt, nein, quasi neu erfunden hatte, war 1961 von Elwood Engle abgelöst worden. Engle war auch kein Unbekannter, er hatte bei Lincoln noch den unsterblichen Continental auf den richtigen Weg gebracht; Exner war aber trotzdem nur mässig begeistert von seinem Nachfolger, er bezeichnete dessen Entwürfe als «gerupfte Hühner». Engle entfernte dafür als erstes sämtlichen unnötigen 50er-Jahre-Ballast von den Exner-Autos und brachte Chrysler damit ab 1965 wieder so einigermassen zurück in die Gunst der Käufer.
Und Engle, der ja von Ford kam, wusste, dass es einen Mustang geben würde. In Detroit war zudem bekannt, dass bei GM/Oldsmobile ein ganz neues Gefährt in Planung war, der Toronado. Der neue Chef-Designer musste deshalb gleich zwei vollkommen neue Fahrzeuge schaffen, bei Plymouth den Barracuda (gegen den Mustang) und bei Dodge den Charger (gegen den Toronado). Einen ersten Eindruck, wie denn der Charger aussehen könnte, gab es 1964 auf Basis eines Polara (siehe: hier sowie unten), 1965 folgte die Studie Charger II, die schon die Coupé-Form (sprich: Fastback) des zukünftigen Modells vorwegnahm. Diese Fastback hatte Ford ab 1963 in Mode gebracht, die Galaxie 500XL und Mercury Marauder drückten auch in der NASCAR die entsprechende Sportlichkeit aus.
Die Umsetzung erwies sich dann als schwieriger als zu Beginn gedacht. Um Kosten zu sparen, musste der Barracuda auf dem (günstigen) Valiant basieren, der Charger war eigentlich ein Coronet. Der war aber für den Modelljahrgang 66 quasi schon fertig entwickelt, als der Auftrag für den Charger mit einiger Verspätung doch noch eintraf.. Pflicht war, dass vom Coronet so einiges übernommen werden musste, die Windschutzscheibe zum Beispiel, die Türen der Hardtop-Variante – und mehr als 3500 Dollar kosten durfte das neue Modell auch nicht.
Verantwortlicher Designer war Carl Cameron, genannt «Cam». Weil es ja keine B-Säule gab, steckte er viel Arbeit in die C-Säule, die sich dann sehr weit nach hinten erstreckte; darunter gab es angedeutete Lufteinlässe und hinten quasi die gleichen Radkästen wie vorne. Doch der Höhepunkt des neuen Modells war sicher die Front: Über die ganze Breite zog sich eine Reihe von vertikalen Gitterstäben. Ganz aussen waren darunter die Blinker/Parklichter verborgen, weiter innen gab es versteckte Doppelscheinwerfer, die sich um 180 Grad drehten, wenn sie eingeschaltet wurden. Das war technisch erstaunlich sauber gelöst, man sieht die Öffnungen nur aus der Nähe. Auch hinten zog sich das Lichterband fast über die gesamte Breite des Fahrzeugs, darauf angebracht war auch der Schriftzug – das heute so wichtige Design-Thema Lichtsignatur war also schon Mitte der 60er Jahre einmal ultimativ gelöst, in dieser Konsequenz hatte das vor dem Charger noch niemand angepackt (ein anderes schönes Beispiel, schon aus den 30er Jahren: Ruxton).
Auch das Innenleben des neuen Charger erregte Aufsehen, vier gleich grosse Uhren mit massiver, aussen beschrifteter Chromumrandung waren in jener Zeit bei einem Serienfahrzeug einmalig – und es waren ja damals gute Jahre für neue, aussergewöhnliche Lösungen. Als so genannter «personal luxury car» verfügte der Dodge nur über vier Sitzplätze, die hinteren Sitze konnten auch abgeklappt werden, so entstand eine ebene Ladefläche von über 2 Metern Länge. Als Basismotorisierung diente der 318-ci-V8 (230 PS). Nur diesen gab es auch mit dem manuellen 3-Gang-Getriebe, ansonsten waren der händische 4-Gänger oder die TorqueFlite-Automatik montiert: Die weiteren Motorisierungen: 361 ci (265 PS), 383 ci (325 PS) und dann selbstverständlich noch der «all new Street Hemi» (die grosse, grosse Hemi-Story: hier). Für diesen gab es dann spezielle Felgen und Reifen (mit blauen Streifen), eine Garantie über ein Jahr oder 12’000 Meilen, das «heavy duty»-Fahrwerk und die grossen Bremsen.
Vorgestellt wurde der neue Charger dem breiten Publikum am 1. Januar 1966 mit einer während dem «Rose Bowl» ausgestrahlten TV-Werbung. Wohl fast noch mehr Aufmerksamkeit generierte der rosa Charger, den Allison Parks als Hauptpreis für ihre Wahl zur «Playmate of the Year» des Herren-Magazins «Playboy» erhielt. Die Verkaufszahlen waren nicht schlecht dafür, dass der neue Charger eigentlich nur einen halben Modelljahrgang Zeit hatte, damit 37’344 Exemplare verkauft werden konnten. Davon waren aber nur gerade 488 Hemi.
Für den Modelljahrgang 1967 gab es neue Felgen (und Reifen mit blauen Streifen), einen «Schwiegermutter»-Sitz in der zweiten Reihe – und den 440-ci-Motor, der offiziell 375 PS hatte, aber fast die gleichen Fahrleistungen erreichte wie der Hemi. Trotzdem: es wurde kein gutes Jahr: Nicht einmal die Hälfte der Stückzahl des Vorjahres wurde erreicht – und nur noch 118 Hemi konnten abgesetzt werden. Es musste sich etwas ändern für 1968 – und das tat es dann auch.
Man war sich einig in der Führungsetage, dass der Charger neu positioniert werden musste, weg vom «personal luxury car», mehr hin zur Sportlichkeit. Es gab so etwas wie einen internen Design-Wettbewerb – Design-Chef Bill Brownlie gefiel der Entwurf von Richard Tighstin am besten. Das Fahrzeug sollte vorne schlanker werden und hinten breiter auslaufen; das war auch deshalb möglich, weil die 2. Generation des Charger keinerlei Coronet-Komponenten mehr aufweisen musste. Insgesamt war es eine meisterhafte Weiterentwicklung des 66/67er-Designs, die Frontlampen hinter den Gitterstäben (neu aus Plastik) blieben bestehen, doch ein deutlich vereinfachter Mechanismus (die Stäbchen klappten weg) vergünstigte die Produktion (und war auch deutlich weniger defektanfällig). Komplett neu war die Dachlinie (das heisst, sie wurde ziemlich schamlos von den 66er-GM-Hardtop-Modellen kopiert). Eigentlich hätte der 68er-Charger auch noch einen «Flip Top»-Tankstutzen auf jeder Seite haben sollen, doch das war dann zu teuer, also gab es nur einen. Innen war allerdings: Rückschritt, das feine 66er-Cockpit musste stereotyper Langeweile weichen. Aber er machte insgesamt schon eine ausgezeichnete Figur, der 68er-Charger – sein Problem war, dass ihm die im gleichen Jahr ebenfalls komplett neue Corvette die Show stahl.
Die Antriebe waren genau gleich wie beim 67er Charger. Es gab aber eine neue Modell-Variante mit der Bezeichnung R/T (Road & Track). Als Standard kam der R/T mit dem 440er-Motor, wieder mindestens 375 PS stark, und diversen «heavy duty»-Teilen. Wer dann auch noch den Hemi wollte, der musste das R/T-Package bestellen. Was 1968 doch immerhin 475 Kunden machten. Und 1969 dann wieder 432.
Ansonsten gab es bei den 69er-Charger nicht besonders viele Änderungen – wenn da nicht schon beim 68er dieses Aerodynamik-Problem gewesen wäre, das einen ganz entscheidenden Einfluss auf die weitere Geschichte von Plymouth und Dodge hatte (und eigentlich auch auf die weitere Entwicklung der Sportwagen überhaupt). Denn gerade die stärkeren R/T hatten die Tendenz, bei höheren Geschwindigkeiten ziemlich leicht zu werden. Sowohl vorne (der breite Kühlergrill liess viel, viel Luft unter die Motorhaube) wie auch hinten (das wie ein halber Tunnel geformte Heckfenster sorgte für mächtigen Auftrieb). Nach intensiven Versuchen auf den Proving Grounds von Chrysler entstanden deshalb bei Creative Industries 500 Stück des Charger 500 genannten Modells, das vorne über einen profanen Coronet-Grill verfügte, eine verkleidete A-Säule hatte und eine komplett andere Heckscheibe; 500 Stück deshalb, weil das NASCAR-Reglement dies verlangte. Beim wichtigsten Rennen des Jahres, den Daytona 500, hatte der Charger 500 aber keine Chance gegen den Ford Torino Talladega – was der Zeitpunkt war, dass Chrysler klar wurde, den bereits weit entwickelten Charger Daytona ins Rennen zu schicken. Was dann aber wieder eine andere Geschichte ist, die wir auch schon erzählt haben, hier. Wichtig ist aber die Reihenfolge, der Charger 500 wurde im Juni 1968 als 69er-Modell lanciert, der Daytona kam dann noch 1969 als 70er-Modell. Und mit ihm die richtig fetten Spoiler.
Die 70er-Charger hatten dann auch noch den Coronet-Grill, also nicht mehr die versteckten Lampen – plus das so genannte «Six Pack», also den 440er-Motor aus dem Road/Runner/SuperBee (ja, kommt auch noch), aber halt mit Gusseisen- anstatt Alu-Block.
Für den Modelljahrgang 1971 wurde der Charger wieder komplett neu gestylt. Ganz besonders die Front war anders, rechteckig, der Charger war nicht mehr der aussergewöhnliche Charger (das war er eigentlich schon im Modelljahr 1970 nicht mehr). Er basiert weiterhin auf dem Coronet, und obwohl sein Radstand 5 Zentimeter kürzer war als noch beim 70er-Modell, wirkte er länger, flacher, noch sportlicher. Und wenn man beim R/T den Hemi bestellte, gab es auch einen Ram-Charger, also Frischluft für die Maschine. Trotzdem wurden 1971 nur gerade 71 Exemplare mit dem scharfen Hemi verkauft; eine glorreiche Ära ging zu Ende.
Mehr schöne Amerikaner haben wir alleweil in unserem Archiv. Und immer abends um 20.20 Uhr auf unserer Facebook-Seite.
[…] MagDodge Charger 1966-1971Ausführlich, mit vielen Bildern erzählen wir die schöne Geschichte der Dodge Charger 1966-1971. […]
[…] erste Dodge Charger aus dem Jahr 1966 gilt heute als Legende unter den Muscle Cars. Vor allem die 425 PS starke Version mit dem Hemi-V8-Motor erfreute sich damals großer […]