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radical zero: Nissan Ariya

Überraschungsmoment

Keine Ahnung mehr, wann wir zum ersten Mal vom Nissan Ariya gehört, gelesen hatten, aber es ist schon viele, viele Monde her. Und irgendwann verliert man dann ein bisschen das Interesse, wenn einem die Wurst zu lange unter der Nase durchgezogen wird. Zumal sich ja Nissan auch ein wenig aus Europa zu verabschiedet haben scheint, den coolen Z gar nicht erst auf den alten Kontinent bringen will. Doch dann steht er plötzlich vor uns, der Ariya, gülden glänzend im strömenden Regen, so dass wir ihn uns gar nicht recht anschauen, sondern gleich ins Innere stürzen. Und dann sind wir doch gleich mal erschlagen: hey, das ist jetzt aber das coolste Interieur, das wir seit langem gesehen haben (vielleicht mit Ausnahme des BMW i7 und des Volvo EX90).

Es gibt Hyperscreens aus Stuttgart und auch das futuristische Ding im Honda e, die sich quer durch das ganze Auto ziehen, das scheint einer der Trends zu sein. Im Nissan gibt es zwei horizontale, aneinander gebaute Bildschirme, die knapp über die Mitte reichen. Darunter finden sich ein paar wenige Knöpfe – alles ist sehr reduziert, sehr clean. Und eröffnet ein Raumgefühl, wie wir das in dieser Form noch nie erlebt haben. Dass dazu noch sehr feine Materialien sehr schön verarbeitet sind, ergibt ein Wellness-Gefühl, das wir von Nissan in dieser Form beim besten Willen nicht erwartet hätten. Interieurs waren bislang bei japanischen Fahrzeugen sehr oft der Schwachpunkt – und jetzt haut der Allianz-Partner von Renault so ein Ding raus. Toll. Schöner Überraschungsmoment. Aber vielleicht waren wir ja auch nicht total objektiv, weil wir einfach glücklich waren, im Trockenen zu sitzen.

Gut, Nissan gehörte mit dem Leaf ab 2009 zu den wahren Pionieren in der E-Mobilität, mehr als eine halbe Million Exemplare wurden unterdessen verkauft, die Japaner können: Strom. Doch dann hatte man lange das Gefühl: kompletter Stillstand. Man hörte zwar, dass die Ingenieure aus dem Land der aufgehenden Sonne massgeblich für die Entwicklung der CMF-EV-Plattform für die Renault/Nissan-Allianz verantwortlich sind, doch die Lorbeeren mussten sie trotzdem ihren französischen Kollegen überlassen, der auf der gleichen Basis rollende Megane E-Tech ist schon länger auf dem Markt. Und Renault konnte sich reichlich Applaus einheimsen für noch so manche gute technische Lösung, geringes Gewicht, kompakter Bau, tiefer Verbrauch. Der Ariya war zwar auch da, irgendwo, aber halt nicht sichtbar, nicht zu kaufen.

Aber jetzt sitzen wir ja in diesem schönen Wunder eines sehr edlen Innenraums, staunen über die Platzverhältnisse des Nissan, die so ganz anders sind als im Renault Megane. Und das, obwohl der Radstand mit 2,78 Metern bei weitem nicht so grosszügig ausfällt wie bei anderen E-Fahrzeugen. Der Japaner misst 4,6 Meter, der Franzose ist 40 Zentimeter kürzer, das muss sich ja irgendwo niederschlagen. Der Ariya verfügt auch über ein grösseres Kofferraum-Volumen, die fast 1800 Liter bei abgeklappten Rücksitzen sind dann schon ein eindrücklicher Wert. Das gilt übrigens auch für die Allrad-Variante e-4orce – eine Variante, die Renault (derzeit noch) nicht anbietet.

Das ist nicht der einzige Antriebs-Unterscheid zwischen den beiden Produkten. Das Ariya-Basismodell kommt (wie der Megane) mit Frontantrieb, 160 kW Leistung, 300 Nm Drehmoment und einer Batterie mit einer nutzbaren Kapazität von 63 kWh – das reicht gemäss WLTP für maximal 414 Kilometer. Mit der grösseren Batterie (87 kWh) leistet der Fronttriebler 178 kW bei gleichem Drehmoment, die Reichweite beträgt dann 544 Kilometer. Das Allradmodell e-4orce schliesslich schafft mit der grossen Batterie bis zu 500 Kilometer, leistet dank je einem E-Motor an jeder Achse 225 kW und generiert ein Drehmoment von 600 Nm. Irgendwann kommt dann auch noch ein Performance-Modell mit fast 300 kW. Wir fuhren den e-4orce, das derzeit stärkste Modell mit umgerechnet 306 PS, das in der Schweiz ab 67’990 Franken kostet.

Selbstverständlich geht das: flott. Aber es geht nicht so wild, wie wir das von anderen E-Autos kennen, man muss das Fahrpedal dann schon fast plagen, damit der Ariya seine volle Leistung abgibt. Damit kann man durchaus leben, es macht ja auch Sinn, wenn man sich einer ökologischeren Fahrweise verschrieben hat. Überhaupt ist der Nissan jetzt nicht wirklich der Rennwagen, die Abstimmung des Fahrwerks liegt deutlich auf der komfortablen Seite, der doch recht hohe Aufbau neigt sich in angriffiger gefahrenen Kurven schon deutlich zur Seite. Ohne jedoch ins Wanken zu geraten. Die Lenkung ist ausreichend präzis, die Rückmeldung von der Strasse vorhanden, doch, eben, ein Sportwagen ist er nicht. Obwohl er in 5,7 Sekunden von Null auf 100 km/h rennen will und maximal 200 km/h schnell.

Zum Verbrauch können wir nicht viel vermelden, dafür war unser Rendez-vous zu kurz. Aber da wir ja in dieser Beziehung vom Renault ziemlich begeistert waren und der Nissan auf der gleichen technischen Basis steht, wird es da wohl kaum Grund zum Klagen geben. Andererseits: der Nissan lädt mit Gleichstrom mit maximal 130 kW. Das muss man leider als ziemlich rückständig bezeichnen, das können die meisten Konkurrenten deutlich schneller. Immerhin zieht er an der Wallbox daheim 22 kW, das wiederum können nicht alle.

Prinzipiell sind wir so ein bisschen fröhlich, dass Nissan mit dem Ariya nicht bloss wieder am Start ist, sondern auch noch ein wirklich ansehnliches, Im Interieur sogar grossartiges Fahrzeug auf dem Markt hat. Ein Schnäppchen ist der Ariya gerade in der in der Schweiz besonders begehrten Allrad-Version nicht, aber das ist bei der Konkurrenz ja auch nicht besser. So gesehen wird der Japaner eine adrette Alternative in einem sonst eher biederen Umfeld werden.

Mehr Strom haben wir unter: zero. Alles andere im Archiv.

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