Der Silberfuchs
Ein Jahr nach seinem Rücktritt vom Rennsport, 1958, verfasste Piero Taruffi das Buch «Tecnica e pratica della guida automobilistica da corsa» (zu Deutsch: Stil und Technik des Rennfahrers, Motorbuch, 1964). Im deutschen Untertitel stand auch noch: Erfahrungen eines Meisters im Rennsport. Sehr detailliert (und trocken) beschreibt er nicht seine Karriere, das hätte nicht zum zurückhaltenden Italiener gepasst, sondern die diversen Aspekte der Rennvorbereitung, zum Fahrwerk, Reifen, Motor, Lenktechniken – und vor allem zur Sicherheit. Zwar hatte Taruffi keinen Universitätsabschluss, aber er hatte einige Semester Aerodynamik studiert, er wusste sehr genau, von was er sprach. Und hatte auch deswegen immer wieder Ärger mit Enzo Ferrari. Wer den stärksten Motor hat, erklärte der Commendatore gerne, braucht sich nicht um die Aerodynamik zu kümmern.
Piero Taruffi, geboren am 12. Oktober 1906 in Albano Laziale, begann seine Karriere auf zwei Rädern, war in den 20er und 30er Jahren sehr erfolgreich, fuhr auch diverse Weltrekorde, am beeindruckendsten vielleicht jener über den fliegenden Kilometer mit 274,181 km/h, den er 1937 auf einer öffentlichen Strasse zwischen Bergamo und Brescia auf einer Gilera Rondine aufstellte. 1930 fuhr er seine erste Mille Miglia, 1933 erreichte er bei diesem Rennen für die Scuderia Ferrari auf einem Alfa Romeo 8C 2300 seinen ersten Podiumsplatz, 1934 und 1935 schaffte er jeweils den Klassensieg.
Doch die grosse Zeit des Piero Taruffi kam erst nach dem 2. Weltkrieg. Zusammen mit Piero Dusio gründete er 1946 die Marke Cisitalia – und wurde von Dusio, der vor seinen Schuldnern 1949 nach Argentinien flüchtete, heftig über den Tisch gezogen. Das machte Taruffi zu einem misstrauischen Mann, der seine Unabhängigkeit über alles stellte – und ihm vielleicht auch eine grössere Karriere verbaute, denn gerade Enzo Ferrari, den Taruffi schon seit den 20er Jahren gut kannte, verlangte absolute Loyalität.
Trotzdem kamen die beiden Männer immer wieder zusammen. Taruffi gewann 1951 die Carrera Panamericana auf einem Ferrari 212 Inter – was Maranello die Türen in die USA öffnete. Luigi Chinetti war damals sein Beifahrer gewesen – und wurde für Jahrzehnte zum wichtigsten Geschäftspartner von Ferrari. 1952 siegte Taruffi beim Grossen Preis der Schweiz, dem ersten Rennen zur Formel-1-Weltmeisterschaft 1952, die damals zum ersten Mal mit Formel-2-Fahrzeugen ausgetragen wurde – Ferrari wusste sich auf dem richtigen Weg, wurde dann auch zum ersten Mal Weltmeister. Es sollte dies aber der einzige Sieg in der Formel 1 bleiben, Taruffi bestritt nur 18 Rennen, holte 1952 den dritten Gesamtrang, schaffte dann für Mercedes 1955 in Monza noch einen zweiten Platz. Doch Taruffi erkannte selber, dass er nicht so schnell war wie Alberto Ascari, dass ihm die Souveränität eines «Nino» Farina abging – und er trat am liebsten nur dann an, wenn er Risiken und Chancen für sich selber gut abwägen konnte.
In der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 fuhr Taruffi mit dem Lancia D24 bei der Carrera Panamericana auf den zweiten Rang hinter Fangio. Dort erhielt er von den mexikanischen Journalisten auch seinen Übernamen, «el zorro plateado», der Silberfuchs. Taruffi siegte bei den 1000 Kilometern auf dem Nürburgring 1955 auf einem Maserati 300S. 1954 holte er sich auf einem Lancia D24 auch noch den lang ersehnten ersten Platz bei der Targa Florio. Und dann war da noch die Mille Miglia 1957. Die Scuderia Ferrari hatte mit Eugenio Castellotti im März einen der Favoriten auf den Sieg bei einem tödlichen Unfall verloren, Enzo Ferrari rief wieder einmal Taruffi an, ob er nicht den Platz von Castellotti übernehmen wolle.
Taruffi wollte eigentlich nicht, er sah wenig Chancen. Ferrari hatte Peter Collins und Alfonso de Portago die neuen, fast 400 PS starken und über 300 km/h schnellen 335S anvertraut, von Trips fuhr einen 315 Sport, der junge Belgier Gendebien einen 250 GT. Stirling Moss war auch da, in einem dieser grossartigen Maserati 450 S, die noch brutaler waren als die 335S. Taruffi sagte dann doch zu, es musste ja auch ein Italiener in der Scuderia vertreten sein, erhielt einen 315 Sport. Collins dominierte, er lag in Rom vorne, fuhr meisterlich durch das Schneetreiben bis nach Bologna, pulverisierte alle Rekorde – und musste 200 Kilometer vor dem Ziel mit einem Differentialschaden aufgeben; wie immer in der langen Geschichte der Mille Miglia konnte der Führende in Rom das Rennen nicht gewinnen. Taruffi war ein unauffälliges Rennen gefahren, hatte seinen Ferrari mit Samthandschuhen über die Strecke getragen – und lag plötzlich vorne, holte sich im Alter von 51 Jahren seinen vielleicht schönsten Sieg.
Unmittelbar nach dem Rennen trat Piero Taruffi vom aktiven Rennsport zurück. Das hatte viel damit zu tun, dass Alfonso de Portago bei dieser Mille Miglia kurz vor Schluss die Kontrolle über seinen Ferrari verlor, in eine Gruppe von Zuschauern fuhr; elf Menschen verloren ihr Leben, darunter fünf Kinder. Dieser schreckliche Unfall führte dazu, dass die Mille Miglia nicht mehr durchgeführt wurde – und dass sich Taruffi, der als einer der ersten Fahrer immer einen Helm getragen hatte, noch mehr für die Sicherheit auf den Rennstrecken einsetzte. Piero Taruffi verlebte einen ruhigen Lebensabend und verstarb am 12. Januar 1988 in Rom.
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