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Die Ehre gebührt Paolo Stanzani

Der Mann hinter dem Bugatti EB110

Es ist an der Zeit, die wahre Geschichte des Bugatti EB110 zu erzählen; wir werden das in mehreren Kapiteln machen. Es geht darum, Romano Artioli vom Sockel zu holen, auf dem er sich selber ein Denkmal gesetzt hat, das ihm beim besten Willen nicht gebührt. Dass die ganze Geschichte, wie sie Romano Artioli erzählt, in dieser Form nicht stimmt, wissen wir schon lange, doch jetzt ist endlich auch ein Buch erschienen, das unsere eigenen Recherchen, lange Gespräche mit Zeitzeugen und weitere Schriftstücke auch stützt – es sei deshalb unbedingt «Bugatti – the true story of the EB110» von Dario Trucco, erschienen 2023 bei Minerva, empfohlen. Wir werden uns hier einigermassen kurz und nicht ausschliesslich ans Buch halten, der Um- und Abwege gibt es noch so manche zu berichten, doch es gebührt endlich Ehre, wem die Ehre für den Bugatti EB110 wirklich gebührt: Paolo Stanzani.

Paolo Stanzani, geboren am 20. Juli 1936 in Bologna, gehörte zum ganz engen Kreis in den Anfangsjahren von Lamborghini. Er war schon kurz nach Gründung der Marke 1963 mit an Bord, zuerst ganz frisch nach dem Studium als Assistent von Giampaolo Dallara, kurz darauf auf Augenhöhe mit jenem Mann, ohne den es Lamborghini nie hätte geben können. Stanzani war als technischer Direktor zusammen mit Dallara für so ziemlich jede Lambo-Legende verantwortlich, vom 350 GT über den Islero, den Miura, den Espada bis hin zum Countach. Der Maschinen-Ingenieur, der an der Universität von Bologna studiert hatte, darf wie Dallara und Giotto Bizzarrini als eines dieser italienischen Auto-Universal-Genies gelten, die von verschiedenen Aspekten mehr als nur ein bisschen Ahnung hatten, Mechanik, Fahrwerk, Aerodynamik, Design, Gesamtkonstruktionen.

Nachdem Ferruccio Lamborghini sein Unternehmen 1972 hatte verkaufen müssen, blieb Stanzani noch bis 1975. Doch die beiden Männer blieben sich in tiefer Freundschaft verbunden, man sprach dann und wann über neue Projekte, überlegte sich Mitte der 80er Jahre gemeinsam, einen leichten Geländewagen im Stil des Suzuki Santana (SJ410) zu konstruieren; damals war auch noch Nuccio Bertone an Bord. So kam man auch in Kontakt mit dem damaligen Suzuki-Importeur in Italien, der Autoexpo, die von Giancarlo Artioli geführt wurde. Dessen kleiner, selbstgefälliger Bruder Romano kam bei diesen ersten Gesprächen bald mit der Idee, anstelle eines kleinen Geländewagens doch lieber einen grossen Gran Turismo zu produzieren, mit denen Lamborghini und Stanzani ja schon Erfolg gehabt hatten. Es fiel zum ersten Mal der Name Bugatti – und Bertone verabschiedete sich aus dem Projekt. Auch Lamborghini – der lieber seinen Namen zu Geld gemacht hätte – und Stanzani waren skeptisch, sahen aber die finanziellen Möglichkeiten, die Autoexpo zu bieten hatte. Denn deren Muttergesellschaft FISICO, der Giancarlo Artioli vorstand, war einer der erfolgreichsten Ferrari-Händler überhaupt und auch in Süddeutschland sehr stark, verkaufte in Italien rund 20’000 Suzuki jährlich, hatte sich zudem die Import-Rechte an Hyundai und Subaru gesichert.

1986 nahm das Projekt «Bugatti» erste Konturen an. Stanzani, schon immer ein Liebhaber von Sportwagen, machte erste Skizzen, Pläne. Und weil Romano Artioli zwar eine grosse Klappe hatte, aber ansonsten wenig Ahnung, machte ihn Stanzani mit seinem alten Freund, dem Franzosen Jean-Marc Borel bekannt, der beste Beziehungen in die Auto-Industrie sowie zur französischen Regierung pflegte. Denn es ging ja darum, die Namensrechte von Bugatti zu kaufen, was Romano Artioli schon einmal versucht hatte, aber mit Schimpf und Schande davongejagt wurde, weil er keinerlei Business-Plan hatte. Stanzani, der auch in Frankreich gut bekannt war, weil er für Renault gearbeitet hatte, erarbeitete einen solchen, Borel stellte ihn dem französischen Innenminister vor, der über das Konglomerat Messier-Hispano-Bugatti für Bugatti zuständig war – und man kam zu einer Einigung. Am 11. Mai 1987 gaben die Franzosen ihre Zustimmung, die Namensrechte von Bugatti zu verkaufen, dies für damals 7,5 Millionen französische Francs (heute umgerechnet etwa 500’000 Franken/Euro). Bezahlt wurde dieser Betrag über die Autoexpo GmbH, eine deutsche Tochterfirma der FISICO; nicht über diesem Deal informiert war Giancarlo Artioli. Und Ferruccio Lamborghini zog sich auch zurück.

Nun wird es etwas schräg. Im Juni 1987 gründete Romano Artioli in Luxemburg die Bugatti International, ein neues Unternehmen, das aus Jean-Marc Borel, Michel Bugatti (dem jüngsten Sohn von Ettore Bugatti, den Romano Artioli einst auf einem Campingplatz kennengelernt hatte) und vielen verschiedenen englischen Firmen, alle gegründet von Romano Artioli, bestand. Im Oktober 1987 wurde dann die Bugatti Automobili S.p.A. ins Leben gerufen, an der Bugatti International 65 Prozent hielt – und Paolo Stanzani 35 Prozent. All diese Transaktionen fanden ohne das Wissen von Giancarlo Artioli statt – der am 2. November 1987 tragisch verstarb nach einem Unfall mit einem Jaguar, der ihm von seinem Bruder Romano ausgeliehen worden war. Der Grund für den Reifenschaden, der zu diesem Unfall führte, konnte – erstaunlicherweise? – nie aufgeklärt werden. Doch nach dem Tod seines älteren, viel geschäftstüchtigeren und vor allem integern Bruders standen Romano Artioli alle Türen offen, er verfügte nun über Macht und vor allem viel Geld.

Fahren wir zuerst einmal noch weiter mit der «politischen» Situation: Stanzani hatte ein grossartiges Team um sich gesammelt, Pedrazzi, Bevini, Benedetti, die alle mit ihm schon bei Lamborghini gearbeitet und ein eigenes Konstruktionsbüro, Tecnostile in Modena, gegründet hatten. Insbesondere Oliviero Pedrazzi, der gerade einen vollen Schuh aus dem verunglückten Cizeta-Moroder-Projekt gezogen hatte, war als Motoren-Konstrukteur ein wichtiger Mann für Stanzani. Denn Stanzani – und ganz sicher nicht Romano Artioli – hatte ganz klare Vorstellungen von einem Fahrzeug, wie es die Welt noch nie gesehen hatte: Allradantrieb, 3,5-Liter-V12 mit vier Turbos und fünf Ventilen pro Zylinder. Zumindest zu Beginn wurde seine Position als «Amministratore Unico» nicht in Frage gestellt, doch Artioli hatte sich mit der Bugatti Automobili S.p.A. ein windiges Konstrukt geschaffen – durch beständige Kapitalerhöhung wurden die Anteile von Stanzani immer weniger wert. Was dieser aber viel zu spät bemerkte. Als er sich dagegen wehren wollte, auch bereit war, seine Vorkaufsrechte auszunützen, hatte ihm Artioli schon ein neues «Board of Directors» vor die Nase gesetzt – am 13. Juli 1990 wurde Paolo Stanzani fristlos entlassen, um all seine Titel, Ehren, Pläne und Anteile betrogen (sogar sein technisches Tagebuch wurde zurückbehalten). Denn Romano Artioli hatte ja, was er von Stanzani haben wollte: ein quasi fertiges Automobil.

Aber der Bugatti 035, wie er damals noch hiess, was halt nicht das Fahrzeug, das Romano Artioli wollte. Technisch schon, der Stanzanzi/Pedrazzi-Antrieb war ein Meisterstück, doch irgendjemand hatte Artioli den Floh ins Ohr gesetzt, dass «sein» Sportwagen über ein Carbon-Monocoque verfügen müsse (anstelle der in der Formel 1 erprobten «Honeycomb»-Konstruktion, die Stanzani vorgesehen hatte); es war dies eine der Änderungen am Stanzani-Konstrukt, die dem Bugatti EB110 später das Genick brachen. Und Marcello Gandini, der die ersten Entwürfe für den Bugatti gezeichnet hatte, musste auch dringend «ausgemerzt» werden, zu nah war der Designer bei Stanzani und Lamborghini. Denn was Gandini nach Vorgaben von Stanzani da entworfen hatte, war ein absolut kompromissloses Gerät (Bild oben), hinten gut sichtbar mit zwei «Staubsaugern» (Stanzani wollte den «Ground Effect» nutzen), später dann auch noch mit verkleideten Hinterrädern. Nach Stanzanis Rauswurf wurde Gandini aufgefordert, seinen Entwurf zu bearbeiten, was er auch tat, wenn auch nicht mehr sehr motiviert. Es übernahm Giampaolo Benedini, nicht nur Architekt, sondern vor allem Cousin von Romano Artioli – «Familienbande» erhält da eine ganz andere Bedeutung. Wie schon bei Stanzani versuchte Artioli später den Einfluss von Gandini aus «seiner» Bugatti-Geschichte zu extrahieren. Dabei wollte er ja gar keinen Bugatti, sondern einen Artioli.

Was Romano Artioli dann am 14. September 1991 der Welt als Bugatti EB110 vorstellte, das war in den Grundzügen selbstverständlich noch der Supersportwagen, den sich Paolo Stanzani ausgedacht, den er auch konstruiert hatte. Doch was man alles falsch machen konnte zwischen seinem Rauswurf und dem Serienanlauf: Romano Artioli machte es falsch. Was Artioli sonst noch machte, vor allem finanziell, wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt noch ein wenig genauer betrachten. Jetzt wollen wir einen Moment der Ruhe einlegen, Paolo Stanzani gedenken, der am 18. Januar 2017 verstorben ist. Danach können Sie ja in unserem Archiv noch schöne Geschichten suchen.

1 kommentar

  1. Jens Jens

    Klingt spannend. Freue mich schon auf die Fortsetzung 😉

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