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Fahrbericht Ferrari 512 BB / 512 BBi

Die jungen Wilden

Man müsste dann auch einmal über Schlüssel diskutieren. Das sind die Gerätschaften, die man(n) heute kaum mehr mit gutem Gewissen in der vorderen Hosentasche mit sich tragen kann, in ihrer Grösse könnten sie durchaus einen falschen Eindruck erwecken. Der Ferrari 512BB hat drei Schlüssel, einen für die zwei Türen, einen für den einen Tank, einen für das Zündschloss; alle drei sind sie winzig, unauffällig. Sie können nicht rechnen und auch nicht pfeifen und auch das Automobil nicht aus 200 Metern Entfernung zum Blinken bringen, aber sie erfüllen ihren Zweck und brauchen dafür auch keine Batterie. Es geht, wie haben es ausprobiert, man kann Türen mit dem Schlüssel öffnen. Und man kann tatsächlich auch mit einer Schlüsseldrehung einen Motor in Gang bringen.

Wobei: nein. So ein 4,9-Liter-Zwölfzylinder mit vier Weber-Dreifachvergasern erwacht nicht einfach so zum Leben, ganz besonders nicht, wenn er kalt hat. Man kann den Schlüssel mal drehen, bis sich alle Systeme in Bewegung setzen, es summt da, es klackert dort, und wenn das dann alles mal seine Ordnung hat, kann man es mit Zündung probieren (mit oder ohne Choke). Da passiert dann zuerst einmal nicht viel, nach ein paar sanften Bewegungen mit dem Gasfuss spürt man förmlich, wie das Benzin sich auch noch in Bewegung setzt, ein bisschen mehr, ein bisschen weniger, der Anlasser kommt schon ins Keuchen. Und dann geht’s. Oder es geht nicht. Dann probiert man es einfach noch einmal. Wichtig ist, dass man ruhig bleibt und nicht ausfällig wird, keine hektischen Bewegungen; so eine Berlinetta Boxer ist ein zartes Geschöpf, das durchaus auch zicken kann. Wenn sich dann aber ein aus Vergasern gespeister Zwölfzylinder-Sauger in den Leerlauf hustet, auch einmal verschluckt, dann langsam etwas freier atmet, irgendwann dann rund läuft, dann ist das auch heute noch der Gipfel der Ingenieurskunst. Besser wurde es nicht mehr, irgendwie: Früher war alles besser.

Selbstverständlich machte auch Enzo Ferrari Fehler. Aber wenn er sie machte, dann machte er sie richtig – und sass sie auch aus. Dass Lamborghini 1966 mit dem Miura einen grossen Wurf gelandet hatte, das sah auch der «Commendatore» auf den ersten Blick. Und trotzdem schickte er ab 1968 vorerst einmal den 365 GTB/4, besser bekannt als «Daytona», ins Rennen um die Käufergunst. Und auch wenn der Daytona definitiv ein schöner Frontmotor-Ferrari war – der Miura gab ihm mächtig die Hörner. In so ziemlich jeder Beziehung, auf der Strasse, beim Design. Doch Enzo war halt der Ansicht, dass Mittelmotor-Fahrzeuge für seine Kundschaft zu schwierig zu fahren seien, dass man ihnen nur Frontmotor und Heckantrieb zumuten könne, zumindest, wenn es um die einzige, die wahre Form des Motorenbaus gut. Gut, es gab ab 1968 die Dino mit Mittelmotor, aber das waren eben «nur» Dino, also: keine Zwölfzylinder. Und überhaupt: wo ziehen die Pferde die Kutsche?

Es ist klar, dass ein Mittelmotor-V12-Gran-Turismo Ende der 60er Jahre längst auf dem Prüfstand war. Im Rennbetrieb hatten die Jungs um Enzo Ferrari ja beste Erfahrungen gemacht mit diesen Konstruktionen; der 250 LM war schon ab 1964 auf den Rennstrecken erfolgreich gewesen. Und diese Ingenieure beknieten «il drago» schon lange, dieses Konzept auch für die Strassenfahrzeuge anwenden zu dürfen. Aber erst 1971 wurde der Ferrari 365 GT4 BB in Turin erstmals gezeigt; ab 1973 konnte man ihn dann auch kaufen. In erstaunlich geringen Stückzahlen, von der ersten Serie wurden bis 1976 gerade einmal 387 Stück gebaut. Was aber auch wieder an Lamborghini lag: im Vergleich zum 1974 vorgestellten Countach sah der von Leonardo Fioravanti für Pininfarina gezeichnete und bei Scaglietti gebaute BB wieder aus wie seine eigene Grossmutter. Und fuhr sich auch so, wie es Enzo Ferrari vorausgesagt hatte: schwierig. So schwierig, dass Ferrari seinen ersten Mittelmotor-Sportwagen offiziell nicht einmal nach Amerika exportierte.

Die Bezeichnung 365 GT4 BB ist auch etwas schwierig. Die 365 ist noch einigermassen klar, der Motor hatte die gleichen Dimensionen wie die V12-Maschine im «Daytona», also 4,4 Liter Hubraum (geteilt durch 12 gibt – eben). Auch die Leistungsdaten waren ziemlich ähnlich, angegeben wurden 344 PS bei 7200/min (andernorts auch: 380 PS) und ein maximales Drehmoment von 409 Nm bei 3900/min. Das reichte für satte 302 km/h Spitze und den Paradesprint auf 100 km/h in 5,4 Sekunden; 1235 Kilo wurden als Leergewicht angegeben (in anderen Quellen: 1120 Kilo, oder auch 1160). Doch sowohl das GT4 wie auch das BB sind ziemlich irreführend; das Fahrzeug war ein reiner Zweiplätzer und weit entfernt von Gran Turismo. Und BB, was für Berlinetta Boxer steht, ist schlicht und einfach falsch. Zumindest, was den Boxer betrifft.

Da muss man doch mal noch ein bisschen ins Detail gehen. Es gibt die echten und die «falschen» Boxer, und der 365 GT4 BB gehört definitiv zu letzteren. Bei einem echten Boxermotor sind die Pleuel auf einem um 180° versetzten Hubzapfen der Kurbelwelle montiert. Somit sind die Kolben eines Paares immer in der jeweilig gleichen Position, zum Beispiel am oberen Totpunkt. Bei einem 180-Grad-V-Motor, denn nichts anderes ist dieser «falsche» Boxer, teilen sich die beiden Kolben einen Hubzapfen auf der Kurbelwelle. Das bedeutet, dass, wenn ein Kolben am oberen Totpunkt angekommen ist, der andere gerade den unteren Totpunkt erreicht. Falsche Boxer werden nicht mehr produziert, zu den bekanntesten Vertretern dieser Motorengattung gehören die Triebwerke von Tatra oder, eben, der Berlinetta Boxer von Ferrari.

Für diese Bauweise (und den Längseinbau) sprach im BB in erster Linie die geringere Baulänge. Gespeist wurde der 4,4 Liter von vier Weber-Dreifachvergasern (40 IF3C), was ihm einen ordentlichen Durst bescherte; wohl deshalb wurde auch ein 120-Liter-Tank verbaut. Neu waren auch die Zahnriemen – was den BB nicht unbedingt zuverlässiger machte. Aber unter den wahren Fans gilt er bis heute noch als das wahre Tier: wer den 365 GT4 BB beherrscht, darf sich zu den Könnern zählen. Und zu den wenigen Piloten, die ein Automobil mit sechs Endrohren bewegen.

Der Ferrari 512 BB war ab 1976 der Nachfolger des 365 GT4 BB; die Veränderungen sowie Verbesserungen hielten sich in überschaubaren Grenzen. Was deshalb erstaunlich war, weil die erste Berlinetta Boxer ja nicht unbedingt ein durchschlagender Erfolg gewesen war. Beim 512 wurde das mit den Verkaufszahlen dann deutlich besser, bis 1981 konnten immerhin 929 Stück abgesetzt werden. Und das, obwohl der Mittelmotor-Ferrari weiterhin nicht offiziell in die Vereinigten Staaten importiert wurde; man traute den dortigen Piloten weiterhin nicht zu, den Wagen zu beherrschen. Gut, es gab noch andere Gründe, die Sicherheits- und Abgasbestimmungen in den USA, aber die andere Begründung gefällt definitiv besser.

Es gab schon ein paar Unterschiede. Die wichtigste Verbesserung war sicher die Maschine, deren Hubraum auf 4943 cm3 erhöht wurde. In diesem Zusammenhang darf man sich dann fragen, wie es zur Bezeichnung kam, bei der Ferrari ja sein bislang übliches System vom Inhalt eines Zylinders verliess. Und bei 4,9 Liter wäre da ja dann eigentlich 412 an der Reihe gewesen. Dass es 512 wurde, war dann den fast 5 Litern Hubraum sowie den 12 Zylindern geschuldet. Die Leistung ging beim grösseren «falschen» Boxer auf offiziell 360 PS bei 6200/min zurück, dafür gab es dafür gab es deutlich mehr Drehmoment, 451 Nm bei 4600/min. Für diese zusätzliche Kraft wurde die Kupplung mit zwei Scheiben ausgestattet, man konnte sie im 512er im Gegensatz zum 365er auch durchtreten, ohne vorher im Fitnessclub geschwitzt zu haben. Neu war auch die Trockensumpfschmierung; es wurde aber auch Zeit. Am Fahrwerk wurde nur Feintuning unternommen, was deshalb etwas erstaunlich ist, weil das (offizielle) Gewicht doch massiv anstieg, im Ferrari-Manual werden 1515 Kilo angegeben (beim 365 GT4 BB waren es noch 1235 Kilo (oder weniger) gewesen).

Optisch waren die Veränderungen eher gering. Am einfachsten erkennt man den 512 BB an der Front und dem neuen Spoiler dort (vorher gab es keinen), an der breiteren Spur samt breiteren Reifen hinten, plus 6,3 Zentimeter sind doch ziemlich beachtlich (und verbesserten das Fahrverhalten dann eben doch). Und an den nur noch vier Auspuffrohren. Und ja, man hört es auch, der Sound ist tiefer als beim 365 GT4 BB, der mehr kreischt als tönt.

Ab 1981 gab es dann den 512 BBi – das «i» steht für die nun verbaute K-Jetroic von Bosch. Die Leistung sank weiter auf 340 PS, es gab auch etwas weniger Drehmoment, dazu gab es noch ein paar optische Retouschen. Auch die Fahrleistungen wurden etwas braver, es waren nun fast 6 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h (zumindest in seriösen Messungen), die Höchstgeschwindigkeit lag bei noch knapp über 280 km/h.

Aber: Der Einspritzer springt halt (einigermassen) zuverlässig an. Zündschlüssel drehen, ein paar Sekunden warten, zuhören, dann zünden. Und der Zwölfzylinder verfällt in einen (einigermassen) ruhigen Leerlauf. Er nimmt auch sofort Gas an, wenn man dann losfährt, 1. Gang, 3. Gang, 5. Gang, die beiden geraden Verzahnungen sind erst mit im Spiel, wenn das Öl dann auch auf Temperatur ist. Aber damit kann man leben, er will ja zu Beginn eh noch ein bisschen in Ruhe gelassen werden, es braucht wie bei allen italienischen Diven etwas Geduld und Demut in der Handhabung. Dann aber: Diese saubere, lineare Kraftentfaltung des Zwölfzylinders, die einhergeht mit einem traumhaften Klangbild, die ist einfach unerreicht, sie ist ein Wunder der Mechanik, man muss die Ingenieure, die solches geschaffen haben, anbeten. Wir drehen ihn nicht aus, aber schon bei 5000/min ist der Sound derart durchdringend, dass man Schnappatmung kriegt.

Das Fahrzeug ist ein Kunstwerk, ein Grossesganzes: Man sitzt tief und eng, umgeben von Lärm und feiner Technik, die Schaltung ist knockentrocken, die Lenkung – nicht belastet von einem Motor – ein Traum, sehr direkt, mit bester Rückmeldung. Das ist aber auch nötig, denn wenn man nur schon an der Kreuzung etwas zu flott abbiegt, zu früh auf den Pinsel geht, dann geht das Heck sehr schnell seiner eigenen Wege. Und dann sind schnelle Reaktionen gefordert. Ja, man muss dem Ferrari schon den nötigen Respekt entgegenbringen – man kann verstehen, weshalb er gewissen Piloten nicht zugetraut wurde. Was seine Faszination beim besten Willen nicht schmälert. das gilt selbstverständlich für beide gefahrenen Modelle, den 512 BB wie auch den 512 BBi.

Selbstverständlich ist die Vergaser-Variante noch mehr die reine Lehre, vier Dreifach-Weber sind allein optisch schon ein Kunstwerk. Andererseits: Spezialisten, die diese Vergaser sauber einstellen können, werden immer seltener. Und kosten entsprechend immer mehr. Wobei man ganz prinzipiell ein gut gefülltes Portemonnaie braucht: In der Anschaffung sind diese flachen Zwölfzylinder noch ganz vernünftig (es gibt anständige Exemplare ab 250’000 Franken), doch der Unterhalt kann so richtig grob ins Geld gehen – eine komplette Motorenrevision kostet sechsstellig. Es gilt aber nicht nur bei diesen Ferrari: Der Beizug eines Experten vor dem Kauf ist unbedingt empfehlenswert.

Der Ferrari 521 BBi mit Jahrgang 1982 steht bei der Oldtimer Galerie Toffen zum Verkauf. Mehr interessante Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv.

1 kommentar

  1. Rolf Rolf

    Ob es stimmt weiß ich nicht, aber diese Firmen leben ja von Legenden ….
    Angeblich hat Enzo den fertigen Prototypen des BB auf den Hof gestellt und den Mitarbeitern gezeigt, von denen einer (angeblich) ausrief „mein Gott, der ist ja schön wie die BB“.
    Gemeint war natürlich Brigitte Bardot.
    Fortan wurde der Wagen intern so genannt.
    Deshalb wurde dieses Kürzel dann auch offiziell gewählt und nachträglich als Berlinetta Boxer erklärt.
    Eine Berlinetta ist er übrigens ebenso wenig wie ein Boxer.
    Eine Berlina ist eine Limousine, eine Berlinetta ein „Limousinchen“, also ein Auto im klassischen Drei-Box-Design, wie z.B. ein Maserati Kyalami.

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