Zurück zum Content

BMW 1800 TISA

Sonder-Klasse

Eine halbe Stunde, heisst es, habe man schon Schlange stehen müssen auf der IAA 1961, damit man sich den neuen BMW 1500 aus der Nähe ansehen durfte. Er war die grosse Überraschung der Ausstellung, im Geheimen entwickelt worden – und begeisterte das Publikum deutlich mehr als der 3.2 CS, der damals in Frankfurt ebenfalls seine Weltpremiere erlebte. Denn er war ein «Mittelklasse-Traumwagen», genau das, was sich die Deutschen im weiterhin anhaltenden Wirtschaftswunder leisten wollten. Als der 1500 Mitte 1962 auf den Markt kam, kostete er ab 9485 DM, das waren damals etwa anderthalb durchschnittliche Jahresgehälter – sicher nicht zu viel für ein Fahrzeug, dessen Designer Wilhelm Hofmeister sich Hilfe geholt hatte von Giovanni Michelotti. Unter der Haube arbeitete ein vollkommen neuer Vierzylinder, entwickelt von Alexander von Falkenhausen, 80 PS bei 5700/min, das reichte dann für 150 km/h und den Spurt von 0 auf 100 km/h in 16,8 Sekunden – ausgezeichnete Werte für Anfang der 60er Jahre. Auch das Fahrwerk setzte ganz neue Massstäbe in der Klasse.

Und genau damit spielte dann auch die Werbung: 1962 wurde der BMW 1500 erstmals als «neue Klasse» bezeichnet, kurz darauf als «NEUE KLASSE», bis man sich schliesslich auf «Neue Klasse» besann. Und daraus wurde ab 1963 dann eine Familie, als wieder auf der IAA der BMW 1800 und der 1800 TI präsentiert wurden. Das Konzept für den BMW 1800 war ein Beispiel für das Baukastensystem wie aus dem Lehrbuch: Mehr Hub und eine grössere Bohrung bescherten dem Motor 1,8 Liter Hubraum und mit 90 PS mehr Leistung. Die Karosserie war praktisch unverändert, nur besser ausgestattet. Äusserlich unterschied sich der 1800 durch das andere Typenschild und zwei zusätzliche Chromleisten.

Für 9985 DM, 500 Mark mehr als der 1500 kostete, bekam der Kunde ein Auto, das in 13,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h spurtete und 160 km/h schnell rennen konnte. Das Highlight der Modellneuheiten auf der IAA 1963 war aber der neue BMW 1800 TI. Die beiden Buchstaben standen für Touring International (Einspritzung war noch nicht…) und sollten zum Synonym für einen der schnellsten und erfolgreichsten Renntourenwagen der 60er Jahre werden. Für den sportlichsten Vertreter der Neuen Klasse wurde die Verdichtung erhöht, zwei Solex-Doppelvergaser, von einem riesigen Luftfilter in ihrer Atmung nicht behindert, sorgten für die Füllung. Grössere Einlassventile und härtere Ventilfedern, eine Nockenwelle mit längeren Ventilöffnungszeiten und höheren Nocken trieben zusammen mit den anderen Massnahmen die Leistung des 1,8 Liter auf jetzt 110 PS bei 5800/min. Für die gute Rückkühlung des Öls sorgte die auf fünf Liter Inhalt vergrösserte und kräftig verrippte Leichtmetall-Ölwanne.

Ein eng gestuftes Sportgetriebe, dessen 1. und 4. Gang nur um 1:2,819 auseinander lagen, ermöglichte eine überaus sportliche Fahrweise. Auch die Lenkung war knapper übersetzt, um Kurven noch exakter anpeilen zu können. Der vordere Drehstabstabilisator wurde durch einen weiteren Stabilisator für die Hinterräder unterstützt, die Feder selbst kürzer und durch härtere Stossdämpfer im Zaum gehalten. Der 1800 TI hatte eine für die damalige Zeit berauschende Beschleunigung: Elf Sekunden nach dem Start strich die Tachonadel über die 100 km/h, erst bei 170 km/h war Schluss.

Doch es ging sogar noch heisser: eine «Sonderausstattung für Wettbewerbe» bot Schalensitze für Fahrer und Beifahrer, härtere Vorderfedern, die die Karosse um sechs Millimeter tiefer brachten sowie härtere oder verstellbare Stossdämpfer. Zur Wahl standen ein Viergang-Getriebe mit Sportübersetzung – oder ein Fünfgang-Getriebe sowie vier verschiedene Hinterachsübersetzungen. Ein Sperrdifferenzial war ebenso im Lieferumfang wie Rennbeläge und Zusatzkühlung für die Scheibenbremse sowie ein Kraftstoffbehälter mit 105 Liter Inhalt nebst elektrischer Kraftstoffpumpe. Das motorsportliche Doping machte auch vor dem Motor nicht halt: Speziell geformte Vierringkolben erhöhten die Verdichtung auf 10,2, eine Nockenwelle mit längeren und höheren Nocken vearbeitete vergrösserte Einlassventile mit härteren Ventilfedern. Für einen zusätzlichen Ölkühler wurde bereits ein Anschluss vorgesehen. Seine Abgase entliess der solchermassen auf rund 130 PS erstarkte Motor durch eine Sport-Auspuffanlage. Aus Homologationsgründen legte BMW 1965 eine auf 200 Exemplare limitierte Kleinserie des 1800 TI in weiterentwickelter Motorsport- Version auf und nannte sie 1800 TISA, wobei die beiden letzten Buchstaben für «Sonderausführung» standen. Der 13’500 Mark teure Wagen wurde ausschliesslich an lizenzierte Renn- und Sportfahrer in Europa und den USA verkauft und rannte je nach Übersetzung bis zu 192 km/h schnell.

Während der BMW 1800 im Handumdrehen zum Erfolgsmodell im Verkauf avancierte, sammelte der 1800 TI in der Rennsportausführung reihenweise sportliche Lorbeeren ein. Seine Erfolge sind untrennbar mit einem Namen verbunden: Hubert Hahne. Bereits im ersten Jahr 1964 dominierte er mit dem neuen BMW-Tourenwagen die Konkurrenz nach Belieben. Hahne siegte 14-mal in 16 Rennen und wurde deutscher Rundstreckenmeister. Auch auf Langstreckenrennen und in der Tourenwagen-Europameisterschaft wurde das Duo Hahne/BMW zum Massstab. Beim 12 Stunden-Rennen für Tourenwagen auf dem Nürburgring fuhr Hahne 1964 den Gesamtsieg heraus. Als schnellste Runde wurden ungeschlagene 126,6 km/h gestoppt, sein Gesamtdurchschnitt lag bei 120,9 km/h. Doch die besten Jahre sollten erst noch kommen: Am 6. August 1966 umrundete Hahne in einem Rahmenrennen zum Grossen Preis von Deutschland mit dem hubraumstärkeren BMW 2000 Ti als erster in einem Tourenwagen die Nürburgring-Nordschleife in weniger als zehn Minuten.

Die Fertigung des BMW 1800 begann im November 1963, während der BMW 1800 TI erst im Frühjahr 1964 in Serie ging. BMW konnte gar nicht so viele Modelle der Neuen Klasse liefern, wie gewünscht wurden. Gegenüber 1962 explodiert der BMW-Umsatz um 47 Prozent auf 433 Millionen Mark. Die Neue Klasse hatte daran bereits einen Anteil von 46 Prozent. Bereits weniger als vier Jahre nach Produktionsbeginn feierte die Belegschaft am 18. August 1965 den 100’000 Wagen der Neuen Klasse. Da holte BMW den letzten Pfeil aus dem Köcher: den Zweiliter. Doch das ist dann nochmals eine andere Geschichte.

Das Fahrzeug, das wir hier zeigen, kommt bei RM Sotheby’s in München 2024 zur Auktion, Chassis-Nummer 995074, Motorennummer 1242398. Mehr Informationen haben wir noch nicht, aber eine Preisvorstellung: 80’000 bis 120’000 Euro. Wer hätte gedacht, dass sich eine «Neue Klasse» je in diese Bereich hochschwingen könnte. Mehr spannende Klassiker haben wir in unserem Archiv.

Gib als erster einen Kommentar ab

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert