Wohin des Weges?
Zwar sind wir den Cadillac Lyriq auch gefahren, sogar einigermassen ausführlich. Doch wir hatten es erst gerade geschrieben bei den Polestar 3 und 4, diese ersten Kontakte mit neuen grossen, schweren und teuren Stromern wollen wir nicht mehr als Fahrberichte bezeichnen, denn es ist eh immer das Gleiche, flotter E-Antritt, zu schwer und zu gross für ein einigermassen sportliches Kurvenverhalten, dafür sehr komfortabel. Wobei, beim Cadillac müssen wir da schon noch etwas hinzufügen: Das Untersteuern, also die Tendenz, mit der Vorderachse in der Kurve geradeauszufahren, ist bei diesem Fahrzeug derart stark, dass wir tatsächlich etwas überrascht wurden. Nicht, dass es problematisch wäre, man fährt dann halt noch etwas ruhiger, entspannter, was ja auch bestens zum Charakter dieses so angenehm ruhigen Fahrzeugs passt, aber in dieser Ausprägung haben wir das bei einem modernen Fahrzeug schon lange nicht mehr erlebt.
So, das ist nun also das Fahrzeug, mit dem Cadillac seine Zukunft in Europa gestalten will. In den USA gibt es noch weitere Modelle, allen vor allem den Escalade (auch elektrisch), doch auf dem alten Kontinent ist der Lyriq vorerst das einzige Angebot der Amerikaner. Er kommt in altbekannten Cadillac-Dimensionen, ist ein paar Millimeter länger als fünf Meter, 1,97 Meter breit, 1,62 Meter hoch; der Radstand beträgt satte 3,09 Meter. Und das Gewicht gut 2,8 Tonnen. Wir haben es also mit einem weiteren monströsen E-SUV zu tun – als ob es davon nicht schon mehr als reichlich gäbe. Und das auf einem Markt, der nun wirklich nicht voller Verheissungen ist, die Verkäufe von E-Autos sacken in Europa gerade weg wie Schlittschuhläuferinnen auf dem eisfreien See. Der Zeitpunkt für einen Neustart scheint denkbar schlecht gewählt, aber das hat bei Cadillac in den letzten vier Jahrzehnten bereits Tradition.
Tradition hat auch das wilde Design mit Ecken und Kanten und Brüchen. Es soll Menschen geben, denen das gefällt, doch uns gefällt es auch deshalb nicht, weil die Verarbeitung nicht auf einem Niveau ist, die es bei all diesen Linien unbedingt braucht. Bei unserem Testwagen lag die Heckklappe sicher zwei, drei Millimeter zu tief – das sieht dann halt nicht gut aus, wenn sie Teil eines durchgehenden Lichtbandes sein soll. Überhaupt, die hintere Seitenansicht mit diesen vielen Flächen und den unterschiedlichen Materialien – weniger wäre deutlich mehr. Und vorne, was ist das, ein Mondfisch, der gegen eine Mauer gedonnert ist? Es ist alles irgendwie – zu viel. Das setzt sich übrigens im Innenraum fort, es gibt ein bisschen Holz, etwas gebürstetes Alu, Leder, Plastik – unter den Interieur-Designern wurde wohl gewürfelt, wer hat noch nicht, wer will nochmal? Auch da, also innen, entsprechen die Spaltmasse nicht den eigenen Premium-Ansprüchen, diverse Details sind sogar für GM-Verhältnisse billig.
Man sitzt hoch und ganz gut im Cadillac. Ein riesiger Bildschirm zieht sich weit über die Mitte des Innenraums, sehr saubere, weil sehr klare Darstellung. GM hat ja unterdessen ein eigenes Betriebssystem entwickelt, nutzt aber viele Google-Dienste – und das ist gut so, an der Bedienerfreundlichkeit gibt es nichts zu kritisieren. Auch hinten sitzt man fürstlich, viel Bein- und Kopffreiheit, noch weiter hinten gibt es 588 bis 1687 Liter Stauraum. Das ist sicher ganz anständig, doch man fragt sich trotzdem, wo bei diesem 5-Meter-Auto all der Raumgewinn geblieben ist, den E-Autos eigentlich bieten könnten. Und warum das Ding so schwer sein muss, um dann gerade einmal 426 Kilo Zuladung zuzulassen. Immerhin darf er 1,6 Tonnen ziehen, der Cadi.
Der Cadillac steht auf der schon länger bekannten Ultium-Plattform von General Motors. Er verfügt über einen 102-kWh-Akku, die Reichweite soll bis zu 530 Kilometer betragen; geladen werden kann mit maximal 190 kW. Die 528 PS und 610 Nm maximales Drehmoment werden an alle vier Räder verteilt, in 5,3 Sekunden will der Koloss von 0 auf 100 km/h rennen, nach oben ist bei 210 km/h Ende. Alles ganz nett, nicht schlecht, aber halt auch etwa gleich weit entfernt von herausragend. Und dann fragt man sich halt schon, was denn ein positives Unterscheidungsmerkmal gegenüber der starken Konkurrenz sein könnte. Der Preis ist es auch nicht, in Deutschland kostet der Lyriq ab 80’500 Euro, in der Schweiz ab 83’950 Franken.
Es bleiben nach dieser ersten Ausfahrt wohl berechtigte Zweifel, ob es der Lyriq sein kann, der Cadillac in Europa auf die Spur bringt; der kommende Optiq wird es wahrscheinlich auch nicht. Aber über die Zukunft von Cadillac haben wir uns ja erst vor kurzem Gedanken gemacht, nachzulesen hier. Wir fuhren den Lyriq im Rahmen einer Veranstaltung von CarDesignEvent im Nationalen Automuseum, «The Loh Collection». Mehr Strom gibt es unter zero, alles andere im Archiv.
Vorserienfahrzeuge und die aus dem ersten Produktionsjahr sind immer voll von Macken aller art (sehe da noch die uneben aufgesetzte Dichtung der Fahrertür).
In der Lavine von 08/15-Strom-SUV’s gefällt mir dieser Cadillac noch am besten.
Und als langjahriger Opel-Fahrer sehe ich hier und da noch ein Detail, das ich gut kenne: hier die Türscharniere – immernoch gleich wie schon bei meinen Insignia A und Astra J.
Ich bin sehr mit Euch (sei es Polestar, Cadillac, VW-Konzern SUVs, BMW, Mercedes, Hyundai, etc), dass ich diese grossen schweren SUVs nicht mehr ausstehen kann. Seien es Verbrenner oder Elektromodelle. Zudem ist deren Designsprache ein blanker Horror, der sehr schnell alt aussieht.
Ich fahre Taycan Cross Turismo und freue mich jeden Tag über die Form, die Fahreigenschaften und das schnelle Laden.
Wenn man least bekommt man fürs selbe Geld einen Porsche Macan E. Schwere Entscheidung.