Teure Laster
Selbstverständlich flucht Danni nicht. Das würde auch nicht zu ihm passen. Danni ist zwar Amerikaner, aber er gibt mehr so den englischen Gentleman, er ist zudem Arzt mit einem ganz besonderen, wohl ziemlich einträglichen Spezialgebiet. Aber an diesem frühen Samstagmorgen, da würde Danni wohl schon gerne ein paar Kraftausdrücke verwenden, denn das hölzerne, lederne, stoffige Schiebedach seines Rolls-Royce Phantom II von 1934 geht nicht auf. Und sein Sohn geht nicht ans Telefon. Dabei ist es gerade dieses aussergewöhnliche Dach seiner von H.J. Mulliner gestalteten Sedanca de Ville, das seinen Rolls so besonders macht, der Fahrer/Chauffeur kann/muss an der frischen Luft sitzen, während es sich die Passagiere hinten in der edlen Kabine bequem machen. Die Feuchtigkeit, vermutet er, während wir gemeinsam drücken und zerren, «es ist hier in Kalifornien so viel feuchter als bei mir daheim in Georgia». Oder dann hat sich etwas verzogen auf dem Transport, denn Danni hat seinen Klassiker selber im Trailer von Atlanta nach Pebble Beach gefahren, rund 4000 Kilometer, drei Tage seien er und sein Sohn unterwegs gewesen, als Zugfahrzeug dient ein fetter Dodge Ram; seine Frau kam dann im Flieger nach. Die schläft jetzt noch, mit ihr kann Danni nicht über seinen Ärger reden.
Danni ist eine Ausnahme unter den Teilnehmern am 73. Pebble Beach Concours d’Elegance. Nur ganz wenige der Sammlerinnen und Besitzer, die ihr Fahrzeug – auf Einladung – auf dem vielleicht berühmtesten Golfplatz der Welt ausstellen dürfen, karren ihre Preziose selber an. Doch für Danni versteht sich das von selbst, er wollte den Phantom eigentlich sogar auf eigenen Achsen zum Schönheitswettbewerb fahren, doch davon wurde ihm dann dringend abgeraten, die Jury bevorzuge klinisch reine Fahrzeuge, kein Dreck von der Strasse, bitte. Zudem hatte er noch ein Problem mit einem Vergaser am 7,7-Liter-Reihensechszylinder; es wäre knapp geworden. Es ist nun sicher nicht so, dass Danni sich nicht auch einen professionellen Transporteur hätte leisten können, er gehört zwar nicht zu Prominenz in der Szene, doch er hat eine feine Sammlung, einige ganz nette Rolls-Royce und Bentley, selbstverständlich Pre-War, vor allem aber richtig alte Fahrzeuge, mit denen er auch den London-Brighton-Run fahren kann. Und er gibt Kurse, wie man bei diesen uralten Gerätschaften die Vergaser wieder zum Funktionieren bringt, als Arzt scheint er dafür ein feines Händchen zu haben. Doch das verf… Dach am Rolls geht trotzdem nicht auf.
Ansonsten ist die Stimmung sehr entspannt an diesem Samstagmorgen auf dem riesigen Parkplatz oberhalb des Ausstellungsgeländes. Über 100 teils gewaltige Lastzüge stehen da, schön aufgereiht, die einzelnen Fuhr-Unternehmen habe ihre Fahrzeuge liebevoll gruppiert, auf den Zentimeter genau einparkiert – es gibt ja auch so etwas wie einen Lastwagenfahrerehrenkodex. Ben gehört zu diesen Profis, er fährt seit zwei Jahrzehnten als Sub-Contractor für ein bekanntes Auktionshaus wertvolle Oldtimer quer durch die Vereinigten Staaten. Er holte für diese Ausgabe von Pebble Beach zuerst einen Maserati 300 S in New York, fuhr dann nach Florida, lud noch einen Lamborghini Miura zu, dann ging es halbleer quer durch den Kontinent: «11 Stunden fahren, 10 Stunden Pause, so sind die Regeln bei uns», erzählt er, insgesamt sei er eine ganze Woche unterwegs gewesen. Jetzt wartet er auf den Besitzer des Lamborghini, der muss zuerst aus dem doppelstöckigen Anhänger; der Sammler, dem der Maserati gehört, ist schon da, trinkt vorne am Eingang zum Parkplatz, wo eine mexikanische Familie eine kleine Küche aufgebaut hat, einen Kaffee. «Manchmal ist es schwierig», sagt Ben, «nicht alle Kunden sind gleich kooperativ, manche sind sie schon sehr allein auf dieser Welt». Er erzählt dann, erstaunlich freimütig, von berühmten Sammlern, die gerne selber Hand anlegen, von anderen, die ihre Mechaniker oder Kuratoren schicken, von solchen, die keine Ahnung haben, aber dafür wunderschöne Anwesen. «Da fährt man dann manchmal zehn Minuten über das Grundstück, bis man zur Garage gelangt». Er sei schon mit Fracht im Wert von mehr als 100 Millionen Dollar quer durch Amerika gefahren, erzählt er, sechs Autos, jedes für mehr als 15 Millionen versichert. Doch er schaue sich die Versicherungspolicen erst an, wenn er die Fracht abgeliefert habe, dann wolle er jeweils genau wissen, was er transportiert habe: «Vorher ist es mir egal, ich will ja nicht nervös werden». Moderne Hypercars, sagt er dann auch noch, seien am mühsamsten, «die sind alle so breit, da dauert es manchmal Stunden, bis wir die im Anhänger haben, wir müssen Rückspiegel abmontieren, manchmal geht es da um zwei Millimeter auf jeder Seite». Ja, es gab auch schon Kratzer, «so ein blöder Aventador erst kürzlich», aber einen Unfall hatte er noch nie.
Gleich da, wo die Mexikaner ihre Burritos feilhalten und ein paar Tische und Bänke aufgestellt haben, stehen einsam und verlassen zwei Holzkisten. Während ich dort beim (grauenhaften) Kaffee noch ein bisschen mit dem Maserati-Besitzer plaudere, der auf den Lamborghini-Besitzer wartet, kommt plötzlich Bewegung in die Sache. Vier Herren, in ihrer Nervosität und Kleidung zweifelsfrei als Italiener zu identifizieren, inspizieren die Kisten, öffnen sie, schirmen den Inhalt vorerst einmal ab. Reden wollen sie nicht, es fahren zwei Abschleppfahrzeuge vor, zwei rote Sportwagen werden aus den Kisten geschoben. Ich traue meinen Augen nicht – sind das tatsächlich die beiden Ferrari 330 P4, Chassis-Nummern 0856, 3. in Le Mans 1967 mit Mairesse/«Beurlys», und 0858, 2. in Le Mans 1967 mit Parkes/Scarfiotti? Ich frage den Mann, der eindeutig der Chef der Truppe ist, auf italienisch, doch er winkt genervt ab: «Nononono». Während die beiden Fahrzeuge in Millimeterarbeit auf die Abschlepper gezogen werden, fährt noch ein drittes, ähnliches Fahrzeug dazu, das kenne ich, Ferrari 412 P, Chassis-Nummer 0850, gehört einem Amerikaner, der den Wagen sonntags auch gern mal für eine Spazierfahrt benutzt. Der letzte 412 P, der versteigert wurde, kam auf über 30 Millionen Dollar – die 330 P4 müssen noch viel wertvoller sein, den sie wurden im Gegensatz zu den «privaten» 412ern von der Scuderia Ferrari eingesetzt. «Die Holzkisten sind massgeschneidert», erklärt der sehr coole, bestens gekleidete Maserati-Besitzer aus New York, «das ist jeweils ziemlich mühsam, wenn ich ein Auto nach Europa bringen will. Und man kann sie nur einmal brauchen. Der Aufwand ist gewaltig, das kostet dann bald einmal sechsstellig, mit Versicherung und all den Leuten, die man dafür engagieren muss, ich mach das nicht mehr». Die beiden P4, finde ich dann später raus, gehören seit kurzem einem deutschen Schuhfabrik-Erben. Und sie wurden nicht für die Schönheitskonkurrenz in Pebble Beach eingeflogen, sondern für eine mehr so private Feier zu «70 Years of Ferrari in America».
Wie viele Ferrari Jim in seinem Leben schon besass, das weiss er wohl selber nicht mehr. Er hat nicht nur Freunde in der Branche, seit er etwas gar krampfhaft versuchte, noch so einen P4-Ferrari zum «Original» zu erklären, doch seine Verdienste für die Szene bleiben trotzdem grossartig. Jim steht auch schon morgens um 7 auf dem Platz, um das Entladen seines eigenen Lastwagens zu überwachen. Der ist voll, ein halbes Dutzend Klassiker hat die Reise mitgemacht, nicht nur seine eigenen Fahrzeuge. Zwar hat er eine ganze Mechaniker- und Putzläppchen-Truppe mit dabei, doch als sein «Modulo» ausgeladen wird, legt er dann selber Hand an. Das ist sein (derzeit) liebstes Kind, er hat den Prototypen gerettet – und er ist entsprechend sauer, als der Zwölfzylinder nicht anspringt, man möchte dann nicht der verantwortliche Techniker sein. Sofort wird der Platz vor dem Lastwagen in eine Werkstatt verwandelt, selbstverständlich hat die Profi-Truppe alles dabei, was es für solche Situationen braucht. Nicht ganz so gut ausgerüstet sind die beiden Jungs von BMW Group Classic, deren aus München eingeflogenes Turbo Concept von 1972 ebenfalls nicht anspringen will. Das ist aber unbedingt nötig, bewertet werden auf der Wies’n vor dem edlen Pebble Beach Hotel nur Fahrzeuge, die am Sonntag aus eigener Kraft zu ihrem Platz fahren können. Doch so schnell lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen, sie wissen um die Zickigkeit ihres einmaligen Prototypen. Und ihr Lastwagen-Chauffeur hat eine eigene Kaffeemaschine dabei. Etwas weiter hinten ist da ein junges Paar deutlich hilfloser, sie sind mit ihrem erst kürzlich erstandenen Ferrari 275 GTB/6C «Alu» zum ersten Mal dabei bei einer solchen Veranstaltung, sie kennen auch niemanden, den sie fragen könnten. Doch dann springt die Italienerin doch noch an, das Wochenende ist wahrscheinlich gerettet. Danni dagegen hat das Dach seines Rolls-Royce auch um 10 Uhr noch nicht offen, sein Sohn ist noch nicht aufgetaucht.
Manch einer dieser Transporteure ist ziemlich kauzig, steht mit grimmiger Miene neben seinem Laster, macht ganz klar, dass es hier nichts zu sehen gibt. Andere haben Camping-Stühle aufgestellt, grillen auf einem tragbaren Grill Speck zum Frühstück, erzählen gern, dass sie zwei Duesenberg im Anhänger haben und noch einen Talbot-Lago. Einer weiss nicht, was er geladen hat, aber das ist nicht weiter verwunderlich, Serenissima kennt nun nicht jeder. Die entspannteren unter den Lastwagen-Chauffeuren versammeln sich bei den Mexikanern, man kennt sich, oft haben die immer gleichen Preziosen ja das gleiche Ziel, es findet in den USA ja quasi wöchentlich irgendwo im Land ein grosses Treffen, ein Concours, eine Ausstellung statt. Manche transportieren immer unterschiedliche Fahrzeuge, andere sind Diener eines Herren. Ein anderer Ben fährt den so riesigen wie unauffälligen Truck des Erben einer wirklich grossen Warenhaus-Kette, acht Fahrzeuge haben Platz, sie dürfen aber erst ausgeladen werden, wenn der Chef da ist. Der kommt stilecht im klassischen Ferrari, knallt da ziemlich flott über den Platz, hupt: Ich bin jetzt da. Er hat sein Hündchen dabei, das er einem seiner Mitarbeiter in die Arme drückt, er fährt jedes Auto selber aus dem Trailer (sonst wird ja meist geschoben), alles klappt zu seiner vollsten Zufriedenheit, nach einer guten Stunde setzt er sich in einen Mercedes 300 SL Roadster, fährt hupend von dannen. Der andere Ben sagt: «Der ist wirklich cool, der kennt all seine Autos, versteht mehr davon als seine Mechaniker. Der macht sich auch die Hände dreckig. Der Benz ist sein Spielzeug, mit dem fährt er täglich, der kommt eigentlich überallhin mit. Du solltest mal sehen, wie er den in den Trailer fährt, crazy. Und wehe, er fragt dich, ob Du mitfahren willst, dann solltest vorher besser nichts gegessen haben». Und bestellt sich einen Burrito, der Chef ist ja jetzt wieder weg, mitfahren muss er nicht, bloss noch warten, bis er am Sonntagabend wieder laden kann. Aber das übernimmt ja dann auch wieder der hupende Milliardär.
Ebenfalls sehr flott ist der diesjährige «best of show» von Pebble Beach unterwegs, ein Bugatti Type 59 von 1934. Erstmals in der 73-jährigen Geschichte des Concours gewann ein unrestauriertes Fahrzeug den heiligsten aller Preise, erstmals war es ein Europäer, der Schweizer Fritz Burkart. Der hatte kein Problem mit dem Transport, er besitzt ein Häuschen ein paar Meilen weiter unten am 17-Mile-Drive, er kam am sehr frühen Sonntagmorgen direkt von dort; man konnte den grossartigen Bugatti schon von weitem hören. Danni, übrigens, hat das Dach dann doch noch öffnen können, seinen verlorenen Sohn hat er auch gefunden, die Gattin war unterdessen wach, doch für eine Auszeichnung reichte es trotzdem nicht.
Es ist dies eine Story aus der Print-Ausgabe von radical, das Inhaltsverzeichnis gibt es hier.
Mich würde brennend interessieren, ob der abgebildete orange Mercedes C 111 wirklich ein originales Auto ist oder eine gut gemachte Replica – Amerikanern mit Geld ist ja alles zuzutrauen…
der kam von Mercedes aus Stuttgart.