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Lamborghini Huracan Performante

Gesamtkunstwerk

Dann, beim Bier danach, entwickeln wir diese Theorie. Jene nämlich, dass die Fahrwerksabstimmung stark davon abhängt, wo das Fahrzeug herstammt. Und wie dort die Strassen so sind. Dass die Amerikaner es nicht so gut hinbringen, weil sie halt vor allem diese siebenspurigen Autobahnen haben. Und die Japaner es deshalb nicht so richtig toll können, weil sie in erster Linie im Stau stehen. Dass ein Porsche halt härter abgestimmt ist, weil die Gassen in der Umgebung von Weissach und Flacht mehr so smooth sind, mehr so: Rennstrecken. Und dass die bösen Italiener schliesslich etwas weicher sind, weil das Geläuf in den Bergen südlich von Modena so richtig grauenvoll ist. Erstmals aufgefallen ist uns das vor vielen Jahren, beim Ferrari 430 Scuderia, jenem Wagen, bei dem Michael Schumacher beim Fahrwerk seine Finger mit im Spiel hatte, der zwar sportlichhart gefedert war, aber dann ziemlich weich gedämpft – und so ein bisschen eine neue Ära einläutete. Seit all diese adaptiven Fahrwerkereien in Mode gekommen sind, ist es ja oft so, dass auch die Profis alles auf ganz scharf stellen – aber halt bei Feder-und Dämpferabstimmung gerne auf weich gehen. Und das nicht nur auf der Nordschleife.

Das sind ja auch sonst keine Nasenbohrer dort in Sant’Agata. Aber mit dem Lamborghini Huracan Performante haben sie sich nun selber übertroffen, die 6:52 auf der Nordschleife sind eine deutliche Ansage (und all das Gelabber über regelkonform und Wahrheit und Videobeweis mögen wir gar nicht mehr hören oder lesen, ganz besonders nicht von Herstellern, die es selber nicht so eng sehen). Wir fuhren den Performante zwei Tage nicht auf der Rennstrecke, sondern zwei Tage über «feindliches» Geläuf, in den Bergen südlich von Maranello, wo sonst Ferrari das Fahrverhalten seiner Geräte in Form bringt. Und wir kamen dabei zu einigen Erkenntnissen:

1) Hart ist nix.
2) Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften.
3) Verehre den Saugmotor.
4) Liebe das Detail.

Doch machen wir zuerst einmal die Hausaufgaben. Wir haben hier den bekannten V10 mit 5,2 Liter Hubraum, aber mit 30 PS mehr als in der Serienversion, also 640 bei 8000/min. Das maximale Drehmoment beläuft sich auf 600 Nm bei 6500/min. Die Kraft haut ein 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe auf einen elektronisch gesteuerten Allradantrieb (Haldex der fünften Generation) mit einem mechanischen Sperrdifferential hinten. Das alles ermöglicht den Sprint von 0 auf 100 km/h (siehe: Video) in 2,9 Sekunden (und auf 200 in 8,9 Sekunden), die Höchstgeschwindigkeit liegt bei über 325 km/h. Das Trockengewicht des 4,51 Meter langen, 1,92 Meter breiten (mit Spiegeln: 2,24 Meter!) und 1,17 Meter flachen Lamborghini beträgt saubere 1382 Kilo, der Preis in der Schweiz knapp 282’000 Franken. Alles völlig unwesentlich, denn das ist ja alles nur Theorie – und in der Praxis ist alles noch viel besser.

Wo es raufgeht, geht es zwangsläufig auch wieder runter. Es ist eine fiese Gasse, schmal, Schlaglöcher, wellig, enge Kurven, man kommt kaum je über die Geschwindigkeitslimite, und wenn, dann ist da wohl nie jemand, der das kontrollieren möchte. Verkehr hat es kaum, und wenn Fuchs und Has‘ noch unterwegs wären, dann würden sie sich rechtzeitig in die Büsche verziehen, denn so ein Performante macht schon Lärm. Es ist: Arbeit, mit den Füssen, mit den Händen, mit den Augen. Und der Lamborghini macht das alles bestens, auch wenn man ihn grob scheucht: er macht nämlich kaum einen Wank. Das Fahrwerk glättet quasi alles, in anderen Wagen würden dem Piloten die Plomben aus den Zähnen brechen, doch dieses Gerät macht alles ganz smooth, easy. Hart ist nix auf solchen Strassen, zu sehr geschüttelt würde man, kaum mehr das Lenkrad in den Händen halten könnte man, der Rücken würde bald einmal schmerzen und der Hintern schon vorher. Doch im Performante: alles mit der Ruhe, man kann sich auf die Strasse konzentrieren, auf die Kurven freuen, auf dieses sehr analoge Zusammenspiel der Sinne.

Selbstverständlich ist es wunderbar, wie der Huarcan aus den Kurven beschleunigt, sehr eindrücklich (dazu kommen wir dann noch). Noch besser ist, wie er durch die Kurve zieht, unglaublich viel Grip, auch grossartige Reifen (Pirelli P Zero Corsa), höchste Präzision der Lenkung (Allrad? Spürt man nicht, denn meist ist man sowieso als Hecktriebler unterwegs). Doch am allerbeste ist es, wenn Du auf die Kurve zufliegst, eher hart am Limit, den Anker wirfst – und sauber auf der Bremse schön einlenken kannst. Solches haben wir noch gar nie erlebt, das ABS regelt allerfeinst, fast schon zärtlich, auch auf diesen schlechten Strassen. Da haben wir doch gleich mal nachgefragt bei Lamborghini.

radical: Was genau haben Sie an den Bremsen verbessert?
Lamborghini: In erster Linie wurde die ABS-Applikation verbessert, auch im Hinblick auf ein besseres Zusammenspiel mit den Reifen. Die Auslegung ist mehr auf die Rennstrecke ausgerichtet und soll sowohl die Verögerung verbessern wie auch die Agilität des Fahrzeugs, wenn man im ABS-Bereich in eine Kurve einlenkt.
radical: Gab es da Veränderungen an der Hardware?
Lamborghini: Nein.
radical: Wo und wie wurde das verbesserte System getestet?
Lamborghini: Wir sind über ein Jahr Tests gefahren, unter allen Strassen-Konditionen. Weil es uns aber darum ging, das Fahrzeug mehr auf den Track auszurichten, fuhren wir viel auf dem Handling-Kurs in Nardo, in Imola und natürlich auf der Nordschleife. Wir haben das System auch mehreren Stress-Tests aus Höchstgeschwindigkeit unterzogen.

31 Meter übrigens, für 100 auf 0. Und wir haben es ja geschrieben: Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften. Es ist heute nicht mehr so, dass wer bremst, verliert. Es ist vielmehr so, dass, wer später bremsen kann: gewinnt. Mit dem Performante kannst Du immer als Letzter bremsen. Und auch ganz wichtig: absolutes Vertrauen. Das ist ganz entscheidend, wenn man schnell unterwegs sein will, dieses Wissen, dass da immer noch der Notnagel ist.

Man ist halt bald einmal mit leichtem Geschwindigkeitsüberschuss unterwegs. Denn 640 PS auf knapp 1400 Kilo, also 2,15 Kilo pro Pferd, das geht dann bestens. Die bislang schärfste Evolutionsstufe des 10-Zylinders ist maximal geschärft, in allen Belangen. Der Lärm ist grossartig, das Ansprechverhalten ist grossartig, die Kraftentwicklung von einer Herrlichkeit, wie man sie heute halt fast nicht mehr kennt. Klar, die Turbo-Drehmomente mögen den Insassen noch heftiger ins Genick knallen, aber für die Freud‘ am flotteren Fahren, da gibt es nichts Besseres, Schöneres als so einen freiatmenden Potenzhammel. Jeden Luftzug auf und um das Fahrpedal setzt die Maschine in Vortrieb um, die feinfühlige Behandlung eben jenes Pedals dankt der 5,2-Liter-Brocken mit einer linearen Gewalt, die dem Piloten ein Dauerlächeln ins Gesicht treibt. Obwohl da urige Kräfte am Werk sind, brauchen die elektronischen Helferlein nur selten einzugreifen – weil es halt eben nicht knallt, sondern sich entwickelt. Und weil die ganze Fuhre extrem gut ausbalanciert ist.

Balance ist ein gutes Stichwort, denn da ist ja auch noch ALA. Das heisst zwar auch Flügel auf Italienisch, doch gemeint ist hier «Aerodinamica Lamborghini Attiva», also ein aktives Aerodynamik-System mit diversen Kanälen und Klappen an Front und Heck, die für mehr Abtrieb sorgen. Und für noch höhere Kurvengeschwindigkeiten. Das ist eine spezielle Form von «torque vectoring»: bei einer Linkskurve wird rechts massiv angeblasen und links auf Durchzug gestellt, damit der Druck schön am kurvenäusseren Rad sitzt. Davon kriegt man bei Fahren zwar nichts mit, ausser eben beim diesem Gesamteindruck, dass der Performante keinen Wank macht, nie. Den vollen Effekt davon hat man so ab 200.

Und dann ist uns noch dies aufgefallen, auch zur Balance – schauen Sie genau hin:

Lamborghini sagt dazu: «Der Grund für die leicht versetzte Einbaulage des Motors liegt in der Notwendigkeit, eine optimale Raumausnutzung im Innenraum zu garantieren. D.h. der Mitteltunnel, der die Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse beherbergt (Allradantrieb als ein wichtiges technisches Merkmal fast aller Lamborghini-Modelle), sollte so klein und platzsparend wie möglich gestaltet werden». Hmm, das stellen wir uns recht schwierig vor, da den genauen Winkel zu finden – aber so sind sie unterdessen bei Lamborghini, es wird am Detail gefeilt, bis es passt, bis ein Gesamtkunstwerk zusammenkommt. Dafür gibt es noch viele andere Beispiele, das auffälligste: Forged Composites.

Im Gegensatz zu den üblichen Karbon-Bauteilen, die auf langen, verwobenen Fasern basieren, besteht das Lamborghini-Material aus sehr kurzen, geschnittenen Fasern, die sich auch zu sehr komplexen geometrischen Formen backen lassen – und trotzdem sowohl sehr stabil wie auch sehr leicht sind. Ausserdem ist der Zeitaufwand bei der Herstellung deutlich geringer (und deshalb eigentlich auch die Kosten…). Lamborghini nennt seine Eigenentwicklung «das Material der Zukunft» – und man darf den Italienern unbedingt einen Technologie-Vorsprung attestieren. Beim Performante werden die Forged Composites für Front- und Heckspoiler, Motorhaube, Heckstossfänger und Diffusor verwendet. Und im Innenraum. Unverkleidet sieht das Zeug zwar ein bisschen aus, als ob es mit Schlamm verdreckt wurde, doch das passt zum Lamborghini, der ja nie der nette Schwiegersohn sein will, sondern schon gern der «bad ass». 40 Kilo wurden beim Performante allein durch die Verwendung dieser Forges Composites eingespart – das ist beachtlich.

Und so verkünden wir: der beste Lamborghini, den es je gab. Wahrscheinlich derzeit etwas vom Allerfeinsten, was es für Geld zu kaufen gibt. Zwar elaboriert bis in die letzte Kleinigkeit – und trotzdem voller Emotionen, weil laut, weil böse (auch optisch), weil unglaublich schnell. Wer das Kleingeld hat, der muss – man weiss nie, wie lange es noch Sauger gibt, wann auch bei Lamborghini die Verbrauchsbremse reinhaut (wobei, die 13,4 Liter Werksangabe gar nicht so wild sind). Man darf auch davon ausgehen, dass so ein Performante absolut wertbeständig sein wird (siehe: Polo Storico). Was die Freude an einem solchen Gerät ja nicht trübt.

Wir erlebten den Performante während unsere Reise unter #theitalianjobs. Photos: ©Fabian Mechtel, Bearbeitung: Tobias Heil. Mehr Lamborghini haben wir in unserem Archiv. Haben Sie das Video schon gesehen?

1 kommentar

  1. HLudwig HLudwig

    Sorry, die Aussagen von Lamborghini bezüglich der Bremsen sind einfach nur lächerlich.
    Das Bremssystem des Performante ist nicht rennstreckentauglich. Ich kenne etliche Performante Besitzer, die ihr Auto auch auf Rennstrecken bewegen und alle haben eklatante Probleme mit den Bremsen. Wer zügig unterwegs ist, muss damit rechnen, dass das Bremspedal einfach durchfällt.
    Lamborghini schweigt das Thema tot… einfach aussitzen. Schade, da kann das Auto noch so emotional sein, da kann Lamborghini noch so oft beteuern, dass der Performante auch für die Rennstrecke konzipiert wurde, die Realität ist einfach anders.

  2. […] man bei den Prototypen noch von einer aktiven Aerodynamik am Heck ausgehen, so scheint der miamiblaue Porsche 992 GT3, der es sich im Video in der Werkstatt des […]

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