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Fahrbericht Corvette C8

so what?

Eine hübsche deutsche Landstrasse durch ein paar Hügel, schön weite Kurven, menschenleer und verkehrsfrei. Wir haben uns schon ein bisschen aneinander gewöhnt, die Corvette und ich, die Reifen sind warm, der Pilot hungrig, er lässt dann am Dorfrand mal den Hammer fallen. Der 6,2-Liter-V8 zuckt kurz zusammen, dann zieht er gut ab, doch, doch, denk ich, das ist nett. Dann knallt der Ami unvermittelt den dritten Gang rein. Oh, ein bisschen früh, hab ich so das Gefühl, dann mache ich das halt manuell, schaue auf den Drehzahlmesser, der bei 6500/min rot wird, ziehe ihn wieder hoch, bis dorthin – und habe das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Ja, auch der Sound, der Achtzylinder jammert ja eher kläglich, nicht wie früher, aber auch Kraft, Durchzug, Drehzahl, so 2000/min mehr wären schon noch gut. Ist aber nicht. Und drum ist es auch nicht wirklich geil, also mehr so: enttäuschend. Jammern auf hohem Niveau bei 482 PS und 613 Nm maximalem Drehmoment? Nein.

Und warum sind wir so kategorisch? Im vergangenen Jahr feierte die Corvette ihren 70. Geburtstag (von den Anfängen berichten wir hier, ausführlich). Natürlich war nicht alles gut, aber einiges dafür grossartig, L88, ZL-1, zuletzt von der C7 der Z06 und ganz besonders der ZR1, 755 PS, 970 Nm. Vor allem aber: Motor vorne, Antrieb hinten. Halt so, wie eine Corvette immer war in den 70 Jahren zuvor. Doch dann kam man in Detroit auf die unsägliche Idee, die ganze Geschichte auf die Müllhalden ebendieser zu schmeissen, den Motor mittig einzubauen wie bei jedem dahergelaufenen Italiener oder verbissenen Japaner oder neureichen Engländer. Klar, grätscht der Auskenner jetzt dazwischen, Mittelmotor ist viel dynamischer, schneller um die Kurve, überhaupt halt modern. Da können wir nur auf den Stockzähnen lächeln und antworten: so what?

Nein, ich will mich hier gar nicht um Objektivität bemühen, gar nicht wissen, ob die neue C8 flotter ums Eck geht als ihre Vorgängerin. Nach Worten ihrer Entwickler: klar, sogar dramatisch viel besser. Dem Gefühl nach: nein. Auf der Rennstrecke sicher, da hab ich keinen Zweifel; mein Leben ist aber anderswo, auf der Landstrasse, am Berg. Und da brauche ich in erster Linie: Vertrauen. Was wahrscheinlich daran liegt, dass ich halt mit Fahrzeugen zum Piloten aufgewachsen bin, welche den Motor vorne hatten und den Antrieb hinten, mit so einer bösen C6 oder C7 sicher nie zu den langsamsten Verkehrsteilnehmern gehörte. Und das definitiv nicht nur geradeaus. Mir persönlich liegt das halt, ich mag auch die Ferrari mit dem Zwölfender vorne deutlich besser als dieses nervöse Zeux mit acht oder gar nur sechs Zylindern in der Mitte; mit einem Lambo war ich zwar immer flott und gut unterwegs, aber nie so richtig oben raus. Denn wenn der Mittelmotorsportler dann hinten kommt, dann wird er meist unberechenbar, während ich bei so einer groben Vette früher immer genau wusste, was jetzt dann passieren wird. Auch in der längst nicht mehr neuen C8 – die Präsentation erfolgte schon 2019 – fühle ich mich nicht sicher, nicht souverän, ich warte extrem angespannt darauf, was denn passieren wird, wenn der Grip abreisst. Das geschah bei der Ausfahrt mit der C8 nicht, aber mit dem monströsen Alpina B8 (Fahrbericht folgt), mit dem ich unmittelbar nach der Corvette die gleiche Strecke fuhr, erreichte ich (gemäss Tacho) doch deutlich höhere Kurvengeschwindigkeiten. Nochmals: mein ganz persönliches Problem, es fehlt mir das Vertrauen – und es fehlen mir diese mindestens 2000/min. Wenn man genug Power hat beim Herausbeschleunigen aus der Kurve, dann lässt sich ja noch so manches korrigieren; wenn ich eine ziemlich lahme Mittelmotor-Krücke fahren will, dann kann ich das in einem Toyota MR2, der auf französisch so heisst, wie er ist.

Auf dem Papier ist die Vette natürlich Super-Mario, will in 3,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h eilen. Das ist sicher möglich, das 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe von Tremec macht auf jeden Fall einen guten Job, der 6,2-Liter-V8-Small-Block mit der Bezeichnung LT2 wurde auch nach allen Regeln der Kunst modernisiert, verfügt sogar über eine Zylinderabschaltung (die man kaum mitkriegt), kann sicher vieles besser und vor allem sparsamer als bei den Vorgängerinnen. Aber es fehlt dem Zweiventiler einfach der Bums, den man sich heute von anständigen Sportwagen gewohnt ist, auch von freisaugenden Maschinen. Ja, ich weiss auch, da ist schon die Z06 mit dem 5,5-Liter-V8 und 679 PS, es kommt bald noch die ZR1 mit Doppelturbo und über 1000 PS, da ist dann alles anders, da gibt es dann sicher atemberaubende Fahrleistungen zu einem fairen Preis. Was aber nichts daran ändert, dass der Motor am falschen Ort ist für eine Corvette. Und so richtig leicht ist sie halt auch nicht, die C8, das tendiert stark gegen 1,7 Tonnen.

Spätestens ab der C3 gewann die Corvette keine Preise mehr für die Innenraumgestaltung, immerhin diese Tradition zieht sich in der achten Generation weiter. Wer auf die Idee kam dieser ewig langen, vertikalen Funktions-Leiste auf der Mittelkonsole, der sollte entlassen werden; noch selten habe ich etwas gesehen, das weniger bedienerfreundlich ist. Dieses Mittelteil ist sowieso unglaublich hoch, was zwar den Vorteil hat, dass sich die Fahrerin fühlt wie in einem eigenen Abteil, aber das Raumangebot schon ziemlich stark einschränkt. Das Lenkrad ist fast rechteckig, auch das mögen wir nicht so sehr, es fühlt sich komisch an, wenn man das Lenkrad am Kurvenausgang durch die Hände gleiten lassen will, ich wusste nicht so recht, in welcher Stellung es sich nun befindet. Aber das ist dann wohl Gewöhnungssache. Gute Sitze, immerhin. Und angenehmes Cruisin’.

Selbstverständlich haben sich alle längst an die neue Corvette gewöhnt, dieser Fahrbericht kommt wie Schnee von gestern, mit gut vier Jahren Verspätung. Ich hatte mich immer geweigert, so eine C8 zu fahren, sie erschien mir von Anfang an als Verrat an einer wunderbaren Legende. Nach dieser gut einstündigen Ausfahrt weiss ich weiterhin nicht, weshalb Chevrolet das Konzept der Vette so dramatisch verändert hat, jetzt ist sie einer unter vielen Sportwagen – und sie kann halt irgendwie nichts besser als die bekannten Namen der Szene, ganz im Gegenteil. Denn auch optisch reisst mich das jetzt nicht von den Sitzen. Es fehlt (mir) ganz allgemein an Emotion, an Sinnlichkeit. Ja, sie ist günstiger als die Italiener, aber 113’690 Franken als Basispreis für das Coupé sind doch auch ganz schön viel Moos.

Spannendere Sportwagen haben wir in unserem Archiv. Wir fuhren die Corvette im Rahmen einer Veranstaltung von CarDesignEvent im Nationalen Automuseum, «The Loh Collection».

3 Kommentare

  1. fred steiner fred steiner

    GRAUENHAFT 🙂

  2. Mack Dack Mack Dack

    Als die C7 rauskam, war es ein unbedingtes, zwanghaftes „will haben!“ Die Vorzüge des puristischen Saugmotor’s meiner 2018er Grand Sport habe ich sehr geschätzt und reichlich ausgekostet. Sie war leicht und agil, hat mich nie in Verlegenheit gebracht! Die C8 Stingray ist ausser Frage technisch ein tolles Gefährt, aber…. genau wie der ehrliche Testbericht es bestätigt… im Vergleich zu den anderen Alternativen schon eher durchschnittlich. Definitiv, in Bezug auf Preis und Leistung ist die C8 unschlagbar! „Emotionen und Sinnlichkeit“ strahlt Sie aber für meinen persönlichen Geschmack leider nicht aus.

  3. Matthias Matthias

    „… wenn ich eine ziemlich lahme Mittelmotor-Krücke fahren will, dann kann ich das in einem Toyota MR2, der auf französisch so heisst, wie er ist.“ Aua!

    Ich verstehe Ihre Enttäuschung über die neue Corvette (oder sollte man wegen des adipösen Gewichtes sagen: Cor-fett?) Aber die Wut am MR2 auszulassen, das verstehe ich nicht. Ich hatte mehrfach Gelegenheit, dieses Auto zu bewegen. Ein leichter, handlicher, kleiner Sportflitzer, gut verarbeitet, zuverlässig und dank des T-Roofs mit Open-Air-Feeling auf Wunsch. Der Wagen war nie als Hochleistungsauto und Corvette-Konkurrent konzipiert (dafür gab den formidablen Supra). im Gegensatz zu Bagheera und Murena war der MR2 in allen Belangen sogar ein Premium-Auto.

    Während der Mazda MX 5 inzwischen nahezu Legendenstatus erreicht hat, ist der MR2 ein Mauerblümchen geblieben, ich meine, zu Unrecht. Für mich ist der MR2 der legetime Nachfolger des Porsche 914. Der strotzte auch nie vor brutaler Kraft, punktete aber mit anderen Qualitäten.

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