Der dritte Mann
Wahrscheinlich war es tatsächlich so: Jochen Rindt hielt noch ein Schläfchen, als sein Beifahrer Masten Gregory in den frühen Morgenstunden des 20. Juni 1965 an die Box fuhr. Ihr Ferrari 250 LM (#5893) lag an zweiter Stelle hinter dem 250 LM (#6313) von Dumay/Gosselin, doch Brillenträger Gregory hatte Probleme mit der Sicht, es war dichter Nebel aufgezogen. Rindt war also nicht zugegen, doch ein gewisser Ed Hugus schon. Der hatte eigentlich auf seinem privaten Ferrari bei den 24 Stunden von Le Mans starten wollen, doch weil sein Auto nicht in Frankreich ankam, stand er als Ersatzfahrer zur Verfügung (obwohl er nicht auf der Starterliste stand). Hugus bestätigte in einem Brief im Jahr 2005, dass er tatsächlich für Rindt einsprang – und vor einigen Jahren übernahm Ferrari diese Darstellung. Wie lange Hugus tatsächlich fuhr, wann Rindt aufwachte, das wird wohl nie mehr geklärt werden, auf jeden Fall hatte der deutlich führende Dumay in der 21. Stunde einen Reifenschaden, stand lange in der Box – und Gregory/Rindt/(Hugus) fuhren #5893 zu einem so ungefährdeten wie überraschenden Sieg. Dem sechsten in Folge für Ferrari, dem ersten für ein Ferrari-Privatteam.
Es war sowieso ein Rennen voller Überraschungen. Allein schon, dass der Ferrari 250 LM mit der Chassis-Nummer #5893 für das NART-Team von Luigi Chinetti antrat, war mehr so ein Zufall. Der Ende 1964 fertig gestellte Ferrari war über Chinetti an Irene Young und ihren Gatten Walter verkauft worden; das Paar kaufte auch gleich noch einen zweiten 250 LM, #5901. Aber irgendwie wussten sie nicht, was sie mit den beiden Ferrari anfangen sollten, also gaben sie #5893 wieder an Chinetti zurück. Der ihn zu Piero Drogo schickte, der dem 250 LM eine längere Nase anbaute, dann ging das Fahrzeug direkt an Le Mans, dort stellten Gregory/Rindt den Ferrari auf den 11. Startplatz. Mehr war gar nicht möglich in diesem Feld, die Scuderia Ferrari schickte ein paar 330 P2 und 365 P2, dazu kamen fünf 250 LM und der ganz neue 275 GTB. Doch noch gröber war das Aufgebot von Ford, zwei der ganz neuen GT40 mit 7-Liter-Motor, vier weitere GT40, fünf Cobra Daytona Coupé. Die 250 LM galten als zuverlässig, doch sie gehörten als Entwicklung aus dem Jahr 1963 schon nicht mehr zu den schnellsten Fahrzeugen im Feld. Und Enzo Ferrari hasste die 250 LM, sie hatten ihm keinen Erfolg, dafür viel Ärger gebracht, alle 32 gebauten Exemplare wurden an Privatteams verkauft. Nach acht Stunden waren alle Ford GT40 ausgeschieden. Kurz darauf waren auch alle Ferrari der Scuderia nicht mehr dabei. Dafür holten Gregory/Rindt eben diesen überraschenden ersten Rang; in den offiziellen Siegerlisten ist Hugus bis heute nicht aufgeführt. (Die Geschichte der Ferrari 250 LM haben wir schon erzählt, hier, dort gibt es auch eine schöne Sammlung.)
Damit war die Renn-Karriere des Ferrari aber noch lange nicht beendet. Im Februar 1966 fuhren Bondurant/Rindt bei den 24 Stunden von Daytona auf den beachtlichen 9. Rang. 1968 war es wieder Daytona, diesmal mit Gregory/Piper, die sich auf dem 8. Platz qualifizieren konnten, im Rennen aber nach 101 Runden ausschieden. Im gleichen Jahr fuhren Gregory/Kolb mit #5893 auch noch die 24 Stunden von Le Mans, schieden dort nach 209 Runden aus. Besser lief es ein Jahr später, Posey/Zeccoli schafften in Le Mans den feinen achten Platz. Und erst im Januar 1970 hatte der Ferrari seinen letzten Renn-Auftritt, 24 Stunden von Daytona, am Steuer Luigi «Coco» Chinetti/Gregg Young, die sich zwar nur als 44. qualifizieren konnten, den sechs Jahre alten Ferrari aber auf dem 7. Platz ins Ziel brachten. #5893 ist der einzige Ferrari, der bei sechs 24-Stunden-Rennen antrat – und das alles – wahrscheinlich – mit dem gleichen Motor.
1970 verkaufte Luigi Chinetti den Ferrari an das Indianapolis Motor Speedway Museum. Dort wurde er in den letzten fünf Jahrzehnten gepflegt, ausgestellt, manchmal auch bewegt. Anfang Februar 2025 wird dieses einmalige Fahrzeug von RM Sotheby’s in Paris versteigert, erwartet werden mehr als 25 Millionen Euro. Mehr spannende Automobile haben wir in unserem Archiv.
2 5 0 L M….
auch ein Himmel der ewig leuchten wird 🙂
Danke, super Beitrag