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Chevrolet Corvette SS Project XP-64

23 Runden

Es lief nicht so gut mit der Corvette, zu Beginn. Im ersten Modelljahr, also 1953, konnten gerade einmal 300 Stück verkauft werden, 1954 wurden zwar 3640 Exemplare gebaut, aber nur etwa 2500 verkauft. Man war also weit davon entfernt, was General Motors geplant hatte, man sah sich eher so bei 10’000. Doch es kam noch schlimmer: 1955 konnten nur gerade 700 Exemplare abgesetzt werden, die Corvette stand vor dem Aus. Hätte Ford im gleichen Jahr nicht den Thunderbird lanciert (von dem gleich am ersten Verkaufstag 3500 Stück bestellt wurden) – die Corvette hätte ihre Lehrjahre wohl kaum überlebt. Doch noch wichtiger war wohl eine Personalentscheidung, noch aus dem Jahr 1953. Da hatte am 1. Mai ein Belgier russisch-jüdischer Abstammung angeheuert: Zora Arkus-Duntov. Er hatte in Deutschland einen Abschluss als Ingenieur gemacht, war 1939 über verschiedene Umwege in die USA gekommen, hatte nach dem 2. Weltkrieg in England für Allard gearbeitet und auch verschiedene Rennen bestritten, Klassensiege in Le Mans zum Beispiel. Arkus-Duntov sagte vom ersten Tag an, dass die Vette unbedingt mehr Leistung brauchte, um zu einem Verkaufserfolg zu werden. Aber erst 1955 fand er Gehör, ein komplett neuer 4,3-Liter-V8 wurde in die Corvette eingebaut, kurz darauf gab es auch noch ein manuelles 3-Gang-Getriebe dazu – und bald ging es aufwärts. Ach ja, «small block», auch heute noch ein Zauberwort.

Doch Zora Arkus-Duntov wollte noch mehr: Rennerfolge. 1956 traten die Corvette zum ersten Mal auf der grossen Bühne an, 12 Stunden von Sebring, Fitch/Hansgen schafften es auf den beachtlichen 9. Rang mit einem fast serienmässigen Fahrzeug. Da ging noch mehr, ein professionelles Renn-Team schwebte Zora vor, ein richtiges Rennfahrzeug. Und er erhielt es, über Umwege. Harley Earl, der legendäre Chef-Designer von General Motors, hatte offene Ohren für die Anliegen von Arkus-Duntov. Und kaufte noch in Sebring den Jaguar D-Type, der den dritten Gesamtrang geschafft hatte. Dieses Fahrzeug verfrachtete er nach Detroit – und schlug der GM-Chefetage vor, den englischen Renner mit einem «small block»-Motor zu versehen, damit Rennen zu fahren. Das erschien sogar den Jungs aus der Plüschabteilung absurd, sie verstanden, dass es einen echten Corvette-Rennwagen brauchte – und befahlen Ed Cole, Chef von Chevrolet, einen solchen in Auftrag zu geben. Cole gab den Auftrag umgehend an Zora Arkus-Duntov weiter, der Trick von Harley Earl hatte funktioniert.

Zora Arkus-Duntov stellte eine Mannschaft aus talentierten Zeichnern, Designern, Mechanikern und Elektrikern zusammen, die rund um die Uhr daran arbeiteten, um das neue Auto fertigzustellen, mit dem ehrgeizigen Ziel, Anfang 1957 an den Start zu gehen. Das Team arbeitete in einer Art Geheimwerkstatt in einem abgesperrten Bereich des Chevrolet Engineering Center. Der neue, speziell angefertigte Rennwagen sollte eine Übung in Leichtbauweise und Aerodynamik mit einem hochmodernen Antrieb sein. Selbstverständlich begann man nicht bei Null, die Rohrrahmenkonstruktion des Mercedes-Benz 300 SL diente sicher als Inspiration, Arkus-Duntov baute für den SS einen massgeschneiderten Gitterrohrrahmen aus Chrom-Molybdän-Rohren, der weniger als 100 Kilo wog. Vorne erhielt der Wagen eine Einzelradaufhängung, hinten war mit einer De-Dion-Achse ausgestattetwar – eine relativ ungewöhnliche Konstruktion, die das ungefederte Gewicht niedrig hielt und eine hervorragende Strassenhaftung bot, wenn auch auf Kosten einer erhöhten Komplexität. Eingebremst wurde die Renn-Corvette über ein einzigartiges Trommelbremssystem an Vorder- und Hinterachse, das jeweils über ein eigenes Vakuum-Unterstützungssystem verfügte und über ein Pedal bedient wurde. An der Vorderachse waren Verbundgussbremsen mit gerippten Aluminiumaussentrommeln an den Rädern montiert, während an der Hinterachse die Bremsen innen montiert waren, wie bei den Mercedes-Benz W196 R Rennwagen. Die Lenkung verfügte über ein Kugelumlaufgetriebe mit Gestänge vor den Vorderrädern und eine Endlenkübersetzung von 12:1, die dem Fahrer ein präzises Fahrgefühl vermitteln sollte.

Die Karosserie wurde von der Styling-Abteilung von General Motors nach Vorgaben von Ed Cole und Harley Earl gebaut. Als echter Test für den modernen Karosseriebau wurde der Aufbau aus leichtem Magnesium gefertigt. Die atemberaubend tief liegende, aerodynamische Karosserie war vorne und hinten aufklappbar, um einen schnellen Zugang zu beiden Teilen des Wagens zu ermöglichen, wobei Hartwell-Einsteckverschlüsse die Verkleidungen sicherten. Ein gezahnter Kühlergrill war die einzige serienmässige Anspielung auf die Corvette-Abstammung, während eine speziell entwickelte, tief ausgeschnittene Kunststoff-Windschutzscheibe in die Türen hineinragte. Der Innenraum war mit zwei Sportsitzen, einem Holzlenkrad und einer Instrumententafel ausgestattet, die einen Drehzahlmesser, Öl- und Wassertemperaturanzeigen, eine Öldruckanzeige und eine Uhr umfasste. Ein stromlinienförmiger Überrollbügel war wunderschön in das Design integriert. Das Auto rollte auf schnell wechselbaren Magnesium-Felgen mit speziellen Reifen.

Angetrieben wurde der SS von einem einigermassen serienmässigen 283-ci-V8. Er verfügte über eine Hochleistungsnockenwelle und eine Reihe experimenteller Aluminiumteile, darunter Zylinderköpfe mit festen Stösseln, Wasserpumpe, Kühlerblock und Kupplungsgehäuse sowie eine aus Magnesium gegossene Ölwanne. Jeder Zylinder hatte sein eigenes Auspuffrohr, das in einen Sammler mündete, aus dem die Abgase dann durch einen nicht einschränkenden, geradlinigen Auspuff strömte, bevor sie an den Seiten des Wagens, direkt vor den Hinterrädern, austrat. Die «Fütterung» des 283er-Motors war ein weiteres experimentelles Teil: Chevrolets neues Ramjet-Kraftstoffeinspritzsystem – noch eine Anleihe bei Mercedes, wo vergleichbare Systeme im 300 SL und dem W196-R-Rennwagen verwendet wurden. Das Ramjet-System wurde von zwei elektrischen Kraftstoffpumpen gespeist, die den Treibstoff aus dem 43-Gallonen-Kunststofftank des Fahrzeugs zogen, dessen Form so gestaltet war, dass er unter die Aero-Karosserie des Fahrzeugs hinter dem Fahrer passte. Der Motor wog etwas mehr als 200 Kilo – gut 40 Kilo weniger als der Motor einer serienmässigen Corvette. Mit einer Leistung von über 300 PS (über 1 PS pro Kubikzoll) war dies ein Triebwerk, das es mit der europäischen Sportwagenkonkurrenz aufnehmen konnte. Der Motor wurde von einem Aluminium-Vierganggetriebe mit enger Übersetzung und Synchronisierung in allen Vorwärtsgängen unterstützt. Die Einheit wog nur gut 30 Kilo. Das Differential war eine Guss-Einheit aus einer Leichtmetall-Legierung und verfügte über Schnellwechselzahnräder. Während der Achsantrieb auf 3,55:1 eingestellt war, ermöglichte die Schnellwechseleinheit eine Änderung des Übersetzungsverhältnisses von 2,63:1 bis 4,80:1, je nach Einsatzbedarf. All dies führte zu einem beeindruckenden Endprodukt: Die Renn-Vette hatte ein beeindruckendes Leistungsgewicht, wie es Detroit noch nie gesehen hatte. Der SS wog trocken 840 Kilo – mehr als 450 Kilo weniger als eine serienmässige Corvette. Ebenso bemerkenswert war der unglaublich kurze Zeitplan des Projekts XP-64: In nur fünf Monaten vom Zeichenbrett auf die Teststrecke – die Corvette SS war eine unglaubliche Leistung für Chevrolet.

Arkus-Duntov hatte von Anfang an ein klares Ziel: Die 12 Stunden von Sebring im März 1957. Als Fahrer verpflichtete er John Fitch und Carroll Shelby. Doch weil das Fahrzeug erst am Tag vor dem ersten Training in Florida eintraf, sprang Shelby wieder ab, fuhr dann einen Maserati 250S; Fitch überzeugte seinen alten Kameraden, den Italiener Piero Taruffi, das Cockpit mit ihm zu teilen. Ein Qualifying gab es nicht, in Sebring starteten die Fahrzeug damals nach Grösse ihres Hubraums, also stand XP-64 ganz vorne. Doch das Training nutzten ein paar bekannte Fahrer, um ein paar Runden mit dem neuen Rennwagen zu drehen, Juan Manuel Fangio, auch Stirling Moss. Fangio, der alte Kämpfer, schaffte auf Anhieb eine Zeit von 3:27, fast drei Sekunden schneller als die schnellste Runde, die Mike Hawthorne im Jahr vorher auf einem Jaguar D-Type gefahren hatte. Das Rennen selber war dann eine einzige Katastrophe, zuerst gab es Bremsprobleme, dann überhitzte der Wagen, nach 23 Runden fuhr Taruffi an die Box und stellte den Wagen ab. Was bitter ist, denn es sollten die einigen 23 Runden sein, welche die Renn-Corvette je in einem Rennen fuhr. Am 6. Juni 1957 verbot die Auto Manufacturers Association sämtliche Rennaktivitäten der amerikanischen Auto-Hersteller, XP-64 wurde nie wieder eingesetzt. Am 29. Mai 1967 kam das Fahrzeug als milde Gabe ins Indianapolis Motor Speedway Museum, Ende Februar 2025 wird es, fahrtüchtig, von RM Sotheby’s in Miami versteigert, erwartet werden zwischen 5 bis 7 Millionen Dollar.

Mehr aussergewöhnliche Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv. Dort gibt es auch eine Sammlung von seltenen Corvette.

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