Götterspeise
Das Zündschloss befindet sich oberhalb der Mittelkonsole, eine Vierteldrehung – und die Götter scheinen zu zürnen. Der AC schüttelt sich leicht, der 7-Liter-V8 erwacht zum Leben, der AC schüttelt sich mehr, ein Donnergrollen zieht übers Land, man muss über mehrere hundert Meter Entfernung mitbekommen, dann fällt der Achtzylinder in einen ruhigeren, aber immer noch kraftvollen Leerlauf. Und auch wenn man schon so manches Automobil gefahren ist, kurz vorher einen Ferrari 365 GTB/4 mit einem auch nicht gerade schmächtigen 4,4-Liter-V12: Gänsehaut. Die Nackenhaare sträuben sich, sämtliche Sinne sind auf einen Schlag alert, instinktiv spürt man: Gefahr. Und gleichzeitig: Genuss.
Es ist ein eigenartiger Bügel, an dem man ziehen muss, um die 3-Gang-Automatik dazu zu bewegen, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. Wieder geht ein mächtiger Ruck durch den Wagen, die Maschine schnorchelt nach Luft, das Fahrzeug schleicht nach vorn, ohne, dass man das Gaspedal berührt, wir rollen auf die Gasse, geben sanft Gas, schon bei 1000/min grummelt der V8 wie ein mürrischer Grossvater vor sich hin. Wir geben ihm noch etwas Zeit, cruisen ein paar Kilometer friedlich über die Landstrasse, bis sich alle Systeme schon aufgewärmt haben, staunen über eine Lenkung, deren Mittellage etwa 30 Zentimeter umfasst, in beide Richtungen, einen Automaten, der nichts anders will, als so bald wie möglich im höchsten Gang seine Ruhe zu haben.
Blinker nach rechts, noch durch ein Villen-Quartier, dann den Berg hoch, eine Strecke, die wir schon so oft gefahren sind, das Roadbook kennen wir auswendig. Man muss ihn jetzt beschränken, den Automaten, denn eben, er will partout nur im höchsten Gang fahren, aber dann kommt man im öffentlichen Verkehr nie über 2500/min – und das Vergnügen liegt ja schon mehr dort, wenn die Ford-Maschine laut wird, wenn sie ihre etwa 360 PS auch einsetzen muss. Nein, selbstverständlich treiben wir das jetzt nicht auf die Spitze, es ist ja auch schon ein etwas älterer Herr, den wir da ausfahren, Jahrgang 1969, aber es macht halt schon unfassbar viel Freud, aus den Kurven hinaus zu beschleunigen – im Wald fällt dann das Laub von den Bäumen, Reh und Hirsch verziehen sich in andere Regionen. Hat man sich einmal an die etwas eigenartige Lenkung gewöhnt, freut man sich über etwas Restkomfort – und ein Fahrwerk, das sich trotz schmaler Reifen kaum aus der Ruhe bringen lässt. Übertreiben sollte man eh nicht, man weiss es ja aus den Erzählungen, dass die Hinterachse trotz Sperrdifferential durchaus ein Eigenleben entwickeln kann.
Dürfen wir vorstellen: AC 428 Frua. Ein seltener Anblick, es wurden zwischen 1966 und 1973 nur gerade 29 Cabrio und 49 Coupé gebaut. Bei unserem Exemplar handelt es sich um CFX10, also ein frühes Coupé, Linkslenker, angetrieben vom 428er-Ford-Motor, auch als «Police Interceptor» bekannt, 7014 cm3, besagte 360 PS bei 5400/min, 622 Nm maximales Drehmoment bei 3200/min. Diese AC Frua waren auch bekannt als «Luxus-Cobra» – und eigentlich waren sie aus der Not geboren.
Wir halten die Vorgeschichte kurz: AC Cars baute ab 1953 den Ace, eigentlich ein Entwurf von John Tojero. Carroll Shelby schätzte diesen Sportwagen sehr, und als er von Ford von Ford einen 4,3-Liter-V8 erhielt, um damit ein anständiges Sportgerät zu bauen, klopfte er bei den Engländern an – es entstand 1962 die AC Cobra. Das lief auch alles ganz gut, sowohl für AC wie auch für Shelby, doch irgendwann musste mehr Leistung her, dafür brauchte es ein stärkeres Chassis, es entstand die AC Cobra Mk III, dieses legendäre Vieh, in das dann der 427er-Ford-V8 eingebaut wurde. Dann gab es aber Probleme mit dem Reglement, auch in den USA fanden sich nicht so viele Käufer wie erhofft für die wirklich böse, nur von Könnern beherrschbare Schlange, die Engländer begannen zu rechnen, brachten noch den AC 289 Sport Mk III, quasi die englische Cobra, auf den Markt.
Eigentlich ging es AC ja bestens in jenen Jahren. Der Ace war ein grosser Wurf, der Deal mit Shelby füllte die Kassen, man hatte mit dem auf dem Ace basierenden Aceca ein hübsches Coupé gehabt, dessen Nachfolger, der Greyhound, dann aber nicht mehr so erfolgreich war. Die Engländer hatten dann auch schon mal in höheren Sphären experimentiert, mit dem so wunderbaren MA-200 im Jahr 1963, überhaupt waren potente Luxus-Cabriolet und -Coupé damals gerade in Mode. Warum also sollte man es nicht selber versuchen, AC hatte die technische Kompetenz, ein ausgezeichnetes Chassis, Zugriff auf feine Maschinen. Fehlte nur noch das passende Kleid.
Was die damaligen Besitzer von AC Cars, die Gebrüder Hurlock, dazu brachte, sich für den Aufbau an Pietro Frua zu wenden, das wissen wir nicht – anscheinend sprachen sie zuerst mit Bertone. Man weiss aber, dass Pietro Frua selber sehr umtriebig war, ein guter Geschäftsmann mit ausgezeichneten Beziehungen. Vielleicht lief alles auch über Kontakte des bekannten Schweizer Rennfahrers Hubert Patthey, der die AC in die Schweiz importierte. Auf jeden Fall schickte AC Cars im Frühsommer 1965 ein um sechs Inch verlängertes Mk-III-Chassis nach Turin – und stellte schon im Oktober das dunkelrot lackierte Resultat (#CF1) neben eine komplett weisse Cobra 427 auf die London Motor Show. Ja, man darf bei diesem Entwurf durchaus gewisse Ähnlichkeiten sehen zu anderen Frua-Fahrzeugen, doch so war es halt mit dem Italiener: er lieferte zuverlässig, er lieferte schnell – und er kopierte sich selber.
Es war trotzdem: der Hammer. Ein solches Fahrzeug konnte zu dieser Zeit niemand vorweisen. Klar, da waren die Ferrari und die noch jungen Lamborghini, doch mit ihren lärmigen und auch anfälligen V12 spielten sie in einer anderen Liga als der AC mit seinem 7-Liter-V8. Eine kleine Anmerkung dazu: die ersten Fahrzeuge waren noch AC 427 Frua, verfügten also über die Renn-Maschine aus der Cobra. Es wurde dann aber im März 1968 gewechselt auf den zahmeren, im Strassenverkehr auch tauglicheren 428er (andere Quellen behaupten: schon ab CF6). Das Rohrrahmen-Chassis mit vorne und hinten Einzelradaufhängung, ungleich langen Trapez-Dreieckquerlenkern, Schraubenfedern, Armstrong-Teleskopdämpfern und Girling-Scheibenbremsen blieb aber, es war ja, trotz um 150 Millimeter längerem Radstand als bei der Cobra, renntauglich – und machte die Frua-AC zu etwas vom Besten, was sich damals auf den nicht so guten Strassen tummelte. Diese Kombination, extrem durchzugsstarker Motor, relativ geringes Gewicht (1400 Kilo), sehr gutes Fahrverhalten und auch noch gutes Aussehen hätte eigentlich Garantie sein müssen für einen grossartigen Erfolg, zumal ja dann – in Genf 1967 – auch noch ein bildhübsches Coupé dazukam.
Die Produktion war kompliziert. In Thames Ditton bei AC Cars wurde zuerst ein rollfähiges Chassis gebaut (man hatte anfangs ja noch einige übrig), diese wurden per Bahn nach Turin verfrachtet. Dort wurde bei Maggiore die Karosserie in Handarbeit an das Fahrgestell montiert (Kofferraumdeckel und Motorhaube bestanden aus Alu), dann ging es per Bahn wieder zurück nach England. Wo dann das Innenleben in den Wagen gezirkelt wurde; erst danach erfolgte die Lackierung. Dieser aufwendige, zeitraubende Prozess war sicher auch der Hauptgrund für den hohen Preis, 1968 verlangte AC Cars für das Coupé stolze 4050 Pfund (am Ende seiner Laufbahn waren es sogar 5573 Pfund, dann aber inklusive Automatik), für das Cabriolet noch einmal 200 Pfund mehr; in der Schweiz kostete das geschlossene Fahrzeug erstaunlicherweise mehr (52’000 Franken, 1969) als das Cabrio (49’000 Franken, Angaben gemäss AR-Katalog). Ein Jaguar E-Type war damals in der Schweiz ab 25’500 Franken erhältlich.
Die Presse war begeistert, es wurde das Fahrverhalten gelobt, die Durchzugskraft, die Höchstgeschwindigkeit (das «Autosport Magazine» kam auf 245 km/h, zumindest bei der Version mit dem manuellen 4-Gang-Getriebe von Ford; die Kunden bestellten aber weitaus häufiger den Dreistufen-Automaten, die ebenfalls von Ford angeliefert wurde), bei «Autocar» sogar der Verbrauch (nur 17 Liter!). Auch die Kunden waren begeistert – allerdings waren es nur wenige, viel zu wenige, siehe weiter oben. Es reichte halt einfach nicht, 1973 war fertig, noch bevor die erste Ölkrise den Luxus-Herstellern das Leben erst so richtig schwermachte. AC Cars verschwand so langsam von der Bildfläche, innert weniger Jahre war einer der ältesten und auch besten englischen Hersteller einfach verblüht.
Was uns aber nicht hindert, CFX10 zu bewundern. Man sitzt sehr tief auf feinem Leder-Gestühl, das erstaunlich viel Seitenhalt bietet. Vor sich hat man das, was man in den 60er Jahren als puren Luxus betrachtete, das Armaturenbrett ist mit Leder bezogen, es gibt reichlich Uhren, dieses Teil über der Mittelkonsole mit wunderbaren Schaltern ist ein schöner Anblick. Der Innenraum von CFX10 hat diese edle Patina, befindet sich in ausgezeichnetem Zustand, wie überhaupt das ganze Fahrzeug, das viele Jahre in Schweizer Besitz war, tadellos ist – die Farbkombination von Rot mit weissen Streifen passt ausgezeichnet. Man könnte auch hinten sitzen, zudem gibt es einen anständigen Kofferraum – viel mehr Gran Turismo geht nicht, auch heute nicht.
Wir fahren wieder vom Berg runter, wir kennen da noch diese Landstrasse mit den langen, geschwungenen Kurven, dort ist der Engländer im italienischen Kleid und amerikanischer Technik erst recht in seinem Element. Man schaut besser nicht auf den Tacho, während der AC einen Vortrieb entwickelt, den man einem 54-jährigen Veteranen beim besten Willen nicht zutraut. Einverstanden, die Bremsen sind nicht ganz auf der Höhe der Fahrleistungen, aber das Wissen darum sorgt dann auch für eine gewisse Zurückhaltung, was sicher auch im Sinne der Rennleitung ist. Und der Nachbarn, die ansonsten um die Ziegel auf ihren Dächern fürchten müssen.
Dieser wunderbare AC 428 Frua wurde uns von der Oldtimer Galerie Toffen zur Verfügung gestellt, dort steht er auch zum Verkauf. Nach dem Preis haben wir nicht gefragt, aber würde das Emblem eines berühmten italienischen Herstellers auf der Fronthaube kleben, wäre er ungefähr 10 Mal höher. Diese AC sind total unterschätzt, dabei schliessen sie ein wichtiges Kapitel der Automobil-Geschichte mit Donnergrollen würdevoll ab. Und noch ein kleines Qualitätsmerkmal: Fast alle der gebauten Cabriolet und Coupé existieren noch.
Ja, wir haben schon so einiges zusammen zu AC Cars, einen Überblick gibt es hier. Auch eine Sammlung dieser 427/428 Frua haben wir, hier. Und sonst ist ja da immer noch das Archiv.
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