Kann es in diesem Leben noch besser werden?
Da diese eine rechts. Da geht der Löwe immer über die vorderen Räder. Keine Ahnung, warum, vielleicht, weil es dort leicht bergab geht, das Heck dann zu leicht wird. Denn sonst ist das kein Problem, anbremsen, einlenken, gleichzeitig massiv aufs Fahrpedal, das Heck bricht aus, der Peugeot lässt sich auf Gas um die Ecke bringen. Aber nicht dort in dieser einen rechts, auch beim fünften Versuch nicht. Man zweifelt dann schon auch an seinen Fahrkünsten, manchmal. Untersteuern, wie sieht das denn aus, das ist ja peinlich.
Es war oft nicht ganz klar, was sich die Funktionäre der FIA dabei dachten, wenn sie wieder einmal ein neues Reglement zimmerten. Sie haben mit ihren Fürzen noch so manche feine Rennserie zerstört, insbesondere bei den Sportwagen, sie haben immer wieder Hersteller benachteiligt (Abarth, Lotus), dafür andere bevorzugt (Porsche). Manche Änderungen kamen buchstäblich über Nacht, wieder andere hatten so viel Vorlauf, dass sie von der Aktualität überholt wurden und gar nie in Kraft traten (dazu kommen wir dann noch). Auch die Gruppe B ist so ein Regulatorien-Monster, sie wurde Anfang der 80er Jahre angedacht und auf die Saison 1982 eingeführt – und war eigentlich nur als Vereinfachung der schon länger geltenden Bestimmungen der Gruppe-4-Homologationen geplant. Von diesem Gruppe-4-Geräten war eine Mindestanzahl von 400 Exemplaren gefordert gewesen (deshalb, zum Beispiel: Opel Ascona 400) – für die Gruppe B waren dann nur noch 200 Stück nötig. Und es gab eine praktisch unbeschränkte Freiheit für die Entwicklung von Evolutionsmodellen, von denen es dann nur noch 20 Stück brauchte. Das bedeutete in erster Linie eine ziemlich heftige Entspannung in den Budgets für die Hersteller – und gleichzeitig viel mehr Geld für die Entwicklung. Denn jetzt lohnte es sich, ein Basis-Fahrzeug zu konstruieren, das schon ziemlich nahe am Rennsport lag; vorher ging man meist von eher braven Kutschen aus, die man für den Motorsport ein wenig umbaute.
Es waren eh spannende Zeiten. Zwar war der Allradantrieb schon lange ein Thema, der Lohner-Porsche von 1900 hatte je einen Radnaben-Elektromotor an allen vier Rädern, ein Spyker von 1903 gilt als erstes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor mit 4×4, es gab die Jeep von American Bantam/Willys (1940/1941) und den Unimog (1948) und den Jensen FF (1966). Richtig Musik ins Geschäft kommt dann im Frühjahr 1980, als am Autosalon in Genf der Audi quattro präsentiert wurde. Mit seiner neuartigen Antriebskonstruktion versetzt er das Publikum und noch mehr die Fachleute ins Staunen. Hinter dem Getriebe ist ein Differenzial angeordnet, gefolgt von einer Antriebswelle, die hohl ist, so dass darin eine zweite Antriebswelle laufen kann – eine Konstruktion, die deutlich leichter ist als die damals üblichen, schweren Verteilergetriebe. Damit wird es möglich, das Drehmoment nicht nur auf das Vorderachsdifferenzial, sondern auch auf die Hinterachse zu leiten. Dazwischen erlaubt das dritte Differenzialgetriebe unterschiedliche Drehzahlen zwischen den beiden Achsen – und ermöglicht so den permanenten Allradantrieb. Zu überschaubaren Kosten. Und dass so ein 4×4 auf den Rallye-Pisten dieser Welt klar im Vorteil sein musste, das war schnell einmal klar.
Auch Peugeot entwickelte seit Ende der 70er Jahre unter dem Projektnamen M24 ein neues Automobil. Am 24. Februar 1983 wurde der Peugeot 205 der Öffentlichkeit vorgestellt – und sollte stolze 15 Jahre lang das meistverkaufte Fahrzeug der Franzosen bleiben. Doch schon einen Tag vorher hatte Peugeot den Vorhang von einem ganz anderen 205 gehoben, einem Gerät, das zwar ein bisschen so aussah wie der 205, aber gar keiner war: der 205 Turbo 16. Selbstverständlich hatten auch die Franzosen mitgekriegt, was bei Audi geschah, natürlich wussten sie um das neue Reglement der FIA – und der damalige Chef Jean Boillot wusste auch noch, dass er den richtigen Mann für ein wirklich gewagtes Projekt in seinen Reihen hatte. Jean Todt, der ein nur mittelmässiger Pilot gewesen war, aber ein hervorragender Beifahrer und ein noch besserer Organisator, erkannte zusammen mit Boillot das Potential der Gruppe B auch für eine Verbesserung des Image der damals eher biederen Marke Peugeot. Und er konnte aus dem Vollen schöpfen, Gitterrohrrahmen, Mittelmotor, Allradantrieb – und auch noch so ein bisschen Ähnlichkeit mit dem neuen 205. Gleichteile waren, neben der Seriennummer, die Türen, die Frontscheibe, die vorderen Lampen, der Kühlergrill.
Die Rennsportabteilung von Peugeot verlängerte den Radstand des 205 auf 2,54 Meter, konstruierte einen neuen 1,8-Liter-Vierzylinder-Turbo mit zwei obenliegenden Nockenwellen und vier Ventilen pro Zylinder, der es im «Serien»-Produkt auf 200 PS bei 6750/min brauchte. Und baute innerhalb weniger eines Jahres die 200 für die Homologation erforderlichen Fahrzeuge. Es gab vorn und hinten doppelte Dreieckquerlenker und eine Sperre für jede Achse, dazwischen ein Mitteldifferential von Ferguson, das 2/3 der Kraft nach hinten leitete. Ein kleines Problem: es gab weder einen Kofferraum noch sonst irgendwie Ablageflächen, es heisst, dass bei den Renn-Maschinen die Helme der Crews in den Begleitfahrzeugen transportiert wurden. In Deutschland, wo 15 dieser Peugeot 205 Turbo 16 angeboten und relativ schnell auch verkauft wurden, kostete so ein Ding 1984 happige 94’000 DM; die Antenne auf dem Dach war serienmässig, das Radio allerdings nicht.
Und der Löwe brachte seine Leistung. In «auto, motor und sport», nicht gerade berühmt dafür, nicht-deutschen Automobilen besonders viel Liebe entgegenzubringen, schrieb Götz Leyrer: «Schon eine kurze Bekanntschaft mit dem Wagen lässt erahnen, dass der Peugeot auf kurvenreichen Strecken wohl kaum ernsthaft einen Gegner zu fürchten hat. Mit minimalen Lenkausschlägen lässt er sich präzis dirigieren, die Gänge rasten leicht und sicher ein, die Lenkung erfordert relativ wenig Kraftaufwand. Auch mit dem Fahrverhalten kommt man auf Anhieb zurecht, denn im Gegensatz zu anderen allradangetriebenen Autos legt der Peugeot ein genau definiertes Eigenlenkverhalten an den Tag. Das Ergebnis jedenfalls wirkt überzeugend; der Peugeot erinnert in seinem Fahrverhalten an herkömmliche Mittelmotor-Autos, besitzt aber dennoch den Vorzug unnachgiebiger Traktion auf losem Untergrund.» Die Strassenversionen gingen auf Asphalt in relativ beschaulichen 7,3 Sekunden auf 100 und waren, weil aerodynamisch nicht wirklich überzeugend, nur 211 km/h schnell. Im Gegensatz zu allen Konkurrenten brachten sie diese Fahrleistungen aber auch auf losen Untergrund. Die ersten Renn-Versionen, etwa 350 PS stark und unter 1000 Kilo schwer, schafften den Paradesprint dann in 4,4 Sekunden. Weil der Franzose mit seinen 3,83 Metern Länge und 1,68 Metern Breite so unglaublich kompakt und entsprechend handlich war, musste Audi dann vom quattro den «Kurzen» auflegen.
Es gibt einen klaren Plan von Boillot: erste Siege beim WM-Läufen 1984. Und schon 1985 musste der Marken-Titel her. Jean Todt konnte liefern. Schon beim ersten Auftritt bei der Rallye Korsika lag Ari Vatanen lange in Führung, bevor er den Peugeot in die Wand trieb. Beim nächsten Rennen in Finnland räumte Vatanen souverän ab. 1985 wurden Salonen/Harjanne auf dem Peugeot Weltmeister, den Markentitel gab es gleich mit, gleich wie 1986, dann allerdings mit Juha Kankkunen als Weltmeister. Es heisst, der 205 Evo in seiner höchsten Ausbaustufe auf 520 PS kam (Peugeot meinte: 430 PS); 1987 gewann Vatanen dann auch noch die Paris-Dakar. Da war die Gruppe B allerdings schon tot. Sie hätte 1987 von der noch offeneren Gruppe S (10 Evo-Fahrzeuge…) abgelöst werden sollen, doch dazu kam es nach diversen tödlichen Unfällen nicht mehr. Die Peugeot 205 Turbo 16 kommen selten auf den Markt, schaffen auch nicht die ganz groben Preise, was unter anderem daran liegt, dass der Unterhalt teuer ist und Ersatzteile noch teurer. Das gilt noch viel heftiger für die Evo/Rallye-Exemplare.
Eines davon steht auf einer dieser vielen kleinen Rennstrecken in Frankreich, Mickey-Mouse-Kurs, wie man sie gerne nennt, die längste Gerade vielleicht 200 Meter, dafür viel Auf und Ab, eigentlich nur Kurven. Genau das richtige Geläuf für so einen Gruppe-B-Peugeot, in unserem Fall letzte Ausbaustufe, Evo 2, deutlich über 500 PS. Der etwa eine Viertelstunde braucht, bis er warmgelaufen ist. Eric vom Peugeot-Museum fährt die ersten Runden, erklärt, was ich wissen muss, viel ist es nicht, all die Schalter und Rädchen brauchen mich nicht zu interessieren. Sequentiell schalten, ohne Servo am winzigen Lenkrad drehen, auf den Drehzahlmesser achten – analoges Autofahren, so, wie es sein muss. Es macht viel Lärm, sehr viel, es ist alles unglaublich streng und hart und grob, es tut einen brutalen Schlag in den Rücken, wenn der mächtige Turbo kommt – selbstverständlich bin ich völlig überfordert. Ganz besonders von dieser einen Rechtskurve, da rutscht er immer vorne weg. Die Kupplung ist ein Bock, die Bremse ein Betonblock, irgendwie sanft anbremsen: nein. Es ist schwer vorstellbar, wie die Jungs (und Michelle Mouton) diese Fahrzeuge damals beherrschen konnten, eine ganze Rallye lang höchste Konzentration, drei, vier Tage, denn eigentlich ist es zu viel, viel zu viel, so ein Evo 2 spottet jeder Physik, Kraft ohne Ende, Traktion ohne Ende. Ist man zu langsam, greifen die Reifen zu früh, dann kriegt man einen üblen Schlag von der Seite ab. Nein, zu schnell bin ich sicher nicht, dafür ist auch der Respekt zu gross. Genau wie das Wissen um die eigenen Unzulänglichkeiten.
Es ist dies ein Text aus radical#2, der Print-Ausgabe. Alle Stories dazu gibt es: hier.
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