Dieses eine Rennen
Phil Hill sagte: «Der ganze Kurs war eine Lachnummer; wie ein surrealistischer Alptraum. Er hatte keinerlei Markierungen, abgesehen davon, dass die Leute am Strassenrand standen und in viele Richtungen zeigten». Die Rede ist von den 1000 Kilometern von Caracas am 3. November 1957, auch als Grosser Preis von Venezuela bezeichnet, dem siebten und letzten Lauf zur Sportwagen-Weltmeisterschaft 1957. Und der Kurs war tatsächlich irr, 9,93 Kilometer durch die Stadt, teilweise auf der Autobahn, unterbrochen von engen Schikanen, es gab eine schmale Unterführung, ganz viele Strassenlampen – und keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Dafür eine unvorstellbare Masse an Zuschauern, die völlig ungeordnet am Strassenrand standen. Die ganze Stadt war auf den Beinen, auch, weil sie den überaus populären Präsidenten Marcos Perez Jimenez sehen wollte – und weil das Rennen zudem eine hohe politische Brisanz hatte. Denn Jimenez hatte dem ehemaligen argentinischen Diktator Juan Peron Exil geboten – und die neue argentinische Regierung hatte dem amtierenden Weltmeister Juan Manuel Fangio im Gegenzug gedroht, dass er, sollte er in Caracas antreten, nicht mehr in seine Heimat zurückkehren dürfe. Fangio war dann tatsächlich nicht dabei, obwohl ihn Maserati, das Team, das ihm 1957 seinen fünften und letzten Formel-1-Weltmeister-Titel ermöglicht hatte, dringend nötig gehabt hätte.
Denn es ging um alles. Die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1957 hatte traditionell mit dem 1000-Kilometer-Renn von Buenos Aires begonnen. Das Rennen wurde auf einem neuen, alles andere als anspruchsvollen Kurs ausgetragen. Zwar hatte der Maserati 450S mit Moss/Fangio sowohl Training wie auch Rennen dominiert, doch Fangio fiel nach einem Kupplungsschaden aus. Der Sieg ging an den über Temple Buell gemeldeten Ferrari 290 MM von Gregory/Castellotti/Musso. Das nächste Rennen, die 12 Stunden von Sebring, konnte Fangio dann aber auf einem Maserati 300S (Bild oben) gewinnen, mit Jean Behra als zweitem Piloten. Es folgte die (letzte) Mille Miglia, die Piero Taruffi auf einem Ferrari 315 Sport für sich entschied, während bei den 1000 Kilometern auf dem Nürburgring überraschenderweise Brooks/Cunningham-Reid auf dem Aston Martin DBR1/300 vorne waren. Die 24 Stunden von Le Mans wurden einmal eine Beute von Jaguar, Flockhart/Bueb waren vorne, dagegen gewannen Moss/Behra dann die 1000 Kilometer im schwedischen Kristianstad auf dem Maserati 450S. Vor dem letzten Rennen, den besagten 1000 Kilometern von Caracas, hatte Ferrari 28 Punkte auf dem Konto, Maserati 25 – mit einem Sieg konnte Maserati die Weltmeisterschaft noch für sich entscheiden.
Ferrari schickte alles, was Maranello zu bieten hatte, nach Südamerika. Da waren zwei Ferrari 335 S, mit Collins/Hill (#0700 – Bild oben) sowie Hawthorn/Musso (#0674) am Steuer, dazu noch zwei Ferrari 250 TR, einmal mit Gendebien/Trintignant (#0704TR), einmal mit von Trips/Seidel (#0666). Maserati hielt dagegen, zwei 450S mit Moss/Brooks (#4503) und Behra/Schell (#4507), dazu ein 350S mit Gutierrez/Godia-Sales, ein 300S mit Bonnier/Scarlatti, noch ein über Temple Buell gemeldeter 450 S (#4508) mit Gregory/Duncan. Auch Porsche war mit einem Werk-Team vertreten, von Hanstein/Barth auf einem 718 RSK. 41 Teams waren gemeldet, 37 reisten tatsächlich an, 34 konnten sich für das Rennen qualifizieren. Im Training zeigten die Maserati, wo der Hammer hängt, Moss knallte mit 3:41,1 die Bestzeit auf die schlechten Strassen, es folgte Brooks mit anderthalb Sekunden Rückstand, der schnellste Ferrari von Hawthorn verlor satte 4,7 Sekunden, Collins gar 8,5 Sekunden.
Der Start verzögerte sich massiv, weil der Herr Präsident noch alle Piloten (und Pilotinnen, am Start war mit Denise McCluggage (Bild oben)/Ruth Levy auf Porsche 550 RS auch ein reines Damen-Team) das Pfötchen schütteln musste. Vor allem Stirling Moss liess sich davon ablenken, er kam als Letzter vom Start weg. Doch vorne hatten Masten Gregory auf seinem Maserati 45 S gleich die Führung übernommen, schaute zurück, wie viel Vorsprung er schon hatte, traf dabei eine Streckenbegrenzung, überschlug sich und blieb für ein paar ewige Sekunden unter seinem Fahrzeug liegen. Dann trat er eine Tür aus den Angeln, kroch unter seinem noch mit weit über 200 Liter Benzin betankten Maserati vor und suchte mit blutendem Gesicht das Weite.
Unterdessen hatte Moss in der ersten Runde 22 Fahrzeuge überholt. Und Behra auf Maserati krallte sich in der siebten Runde Hamilton. Nach 16 Runden schnappte sich dann Moss den Lead, dies vor Behra, Hamilton und Bonnier – es sah sehr gut aus für Maserati. Und es wurde immer besser, Moss fuhr eine Rekordrunde nach der andern, hatte zwei Minuten Vorsprung auf Behra. In der 32. Runde blinkte er den deutlich langsameren AC Ace von Joseph Hap Dressel an, doch der Amerikaner hatte eigene Ideen, zog direkt vor den Maserati von Moss, der eine Kollision nicht vermeiden konnte. Der AC schoss in eine Strassenlampe, wurde dabei halbiert, doch Dressel überlebte den Unfall fast unverletzt; der Maserati von Moss war aber zerstört, die Front komplett ruiniert.
Vier Runden später kam Behra mit seinem Maserati 450 S an die Box zum Nachtanken. Dabei kam es zu einer Explosion, das Heck des 450 S fing feuer, Behra sprang aus dem Wagen, sein Overall brannte auch. Zwar konnte die Feuerwehr den Brand sofort löschen, doch Behra war gestürzt, wollte nie wieder Auto fahren, also befahl Maserati-Team-Manager Nello Ugolini Stirling Moss ins Auto. Der kam nach einer Runde wieder an die Box, weil der Fahrersitz immer noch glühte, er sich den Hintern verbrannt hatte. Es übernahm Harry Schell, der eigentlich Bonnier hätte ablösen sollen. Und Schell fuhr das Rennen seines Lebens, holte in kürzester Zeit die drei Minuten Rückstand auf den Ferrari von Collins/Hill wieder auf, die der Brand gekostet hatte, setzte sich souverän in Führung.
In der 55. Runde setzte Schell gerade zum Überrunden seines Team-Kollegen Bonnier an, als beim Schweden ein Reifen explodierte, er seinen Maserati 300 S nicht mehr kontrollieren konnte. Er kollidierte mit dem Maserati von Schell, dessen Fahrzeug flog gegen eine Wand und ging sofort in Flammen auf. Das Fahrzeug von Bonnier knallte dagegen in eine Strassenbeleuchtung, wurde dabei längs halbiert – und um die Tragödie noch vollständig zu machen, knickte der Lampenpfosten auch noch langsam ein und krachte auf den komplett zerstörten Maserati. Bonnier und Schell kamen mit einem Schrecken davon, doch kurz nach der Hälfte des Rennens hatte Maserati alle seine Fahrzeuge verloren, Ferrari konnte den Sieg (Collins (Bild unten)/Hill) und auch die Ränge zwei bis vier locker nach Hause fahren, holte sich damit auch den erneuten Weltmeister-Titel.
Es heisst, Maserati habe alle seine Werksfahrzeuge schon vor dem Rennen verkauft gehabt. Nach dem Rennen hatten sie aber nur noch Schrottwert – und rissen so ein tiefes Loch in die Kasse. Zwei Wochen nach dem Rennen in Caracas gab Maserati bekannt, dass man sich vom Rennsport zurückziehe – und das, obwohl man im gleichen Jahr noch den Formel-1-Weltmeister-Titel geholt hatte. Und mit dem Maserati 450 S sicher das schnellste Fahrzeug im Sportwagen-Feld hatte. Doch dieses eine Rennen in Caracas machte alles anders. Vielleicht wäre mit Fangio im Team alles anders gekommen; vielleicht war der 450 S auch einfach zu brutal, zu schnell. Mit diesem Fahrzeug endete aber auch eine Ära, Fangio trat mitten in der Saison 1958 zurück, die Fahrer verlangten nach mehr Sicherheit sowohl bei den Strecken wie auch bei den Fahrzeugen – die Zeiten des kompletten Wahnsinns waren vorbei. Aber der Maserati 450S wird für immer das perfekte Symbol für diese wohl grossartigste Zeit des Sportwagen-Rennsports bleiben. Das ist uns doch noch ein paar Bilder wert:
Es ist dies eine Story aus der Print-Ausgabe von radical, das Inhaltsverzeichnis und alle dazu passenden Links gibt es hier.
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